Fest an der Seite der Allianz

Moskau begrüßt die amerikanischen Vergeltungsschläge auf Afghanistan und rechtfertigt erneut seinen Krieg im Kaukasus

aus Moskau KLAUS-HELGE DONATH

Russland steht fest an der Seite der Antiterror-Allianz. Das ist die Botschaft, mit der Kremlchef Wladimir Putin gestern auf den Beginn der Vergeltungsmaßnahmen in Afghanistan reagierte. Der Präsident gibt sich über jeden Zweifel erhaben.

Ein kleines Wunder ist geschehen. Seit mindestens zehn Jahren hat es keinen Anlass mehr gegeben, bei dem die Interessen Moskaus und des Westens so weit übereinstimmten. Dennoch irritiert es, den Kremlchef von der Umsicht des amerikanischen Präsidenten sprechen zu hören. Er sei sich absolut sicher, meint Putin, dass der Präsident der USA und die Administration ihr Bestes täten, um afghanische Zivilisten zu verschonen. Die Gegenmaßnahmen hätten niemanden überrascht. „Mit diesen Reaktion haben alle gerechnet, sowohl die, die gegen den Terrorismus kämpfen, als auch die Terroristen selbst.“ Sie hätten mit ihrer Unverfrorenheit bewusst einen Gegenschlag provoziert und ihn auch einkalkuliert.

Der kolossale Schaden in den USA verlange einfach nach einer adäquaten Antwort. Geschickt baut der Kremlchef den eigenen Krieg in Tschetschenien ein. Die 7.000 Toten, die die USA zu beklagen hätten, seien doppelt so viele wie die Verluste Russlands seit Beginn der – in offizieller Lesart – antiterroristischen Maßnahme in Tschetschenien. Die Angaben enthalten aber nicht die Opfer unter der Zivilbevölkerung und stützen sich bei den Verlusten offensichtlich nur auf die Zahlen des Militärs.

Das Außenministerium hat noch am Sonntagabend den Militärschlag begrüßt. „Die Weltgemeinschaft ist heute in dem Glauben vereint, dass die terroristische Bedrohung des internationalen Friedens und der Sicherheit mit allen Mitteln, die zur Verfügung stehen und von der UN-Charta vorgesehen sind, beantwortet werden muss.“ Auch das Außenministerium machte noch einen kleinen Schlenker und verwies auf Russlands vergebliche Mühen, seit Beginn des Tschetschenienkrieges eine antiterroristische Allianz zu schmieden. Nun werde den Terroristen Gerechtigkeit zuteil, hieß es, „wo auch immer sie sich aufhalten, in Afghanistan, in Tschetschenien, im Mittleren Osten oder auf dem Balkan“.

Die eindeutige Haltung des Kremlchefs ist in der politischen Elite und des Militärs höchst umstritten. Verteidigungs- und Außenministerium hatten mehrfach seit dem 11. September den Versuch unternommen, die klare Position Putins umzudeuten. Solche Manöver scheinen seit Sonntagabend der Vergangenheit anzugehören. Offensichtlich hat der Kreml in den letzten Tagen ob der Kursbegradigung erhebliche Anstrengungen unternommen.

Aus dem Generalstab verlautete unterdessen, dass russische Truppen an Operationen in Afghanistan nicht teilnehmen werden. Die Aufgabe der 8.000 Mann starken, in Tadschikistan stationierten 201. Motordivision bestünde nicht darin, „militärische Operationen in Afghanistan auszuführen“. Neben der 201. Division bewachen noch 11.000 meist tadschikische Soldaten unter russischem Oberbefehl die afghanisch-tadschikische Grenze.

Außerordentlich skeptisch über einen erfolgreichen Abschluss des amerikanischen Unternehmens äußerte sich der früher für internationale Beziehungen in der Armee zuständige General Leonid Iwaschow. Ohne Einsatz von Sondereinheiten am Boden, so der General, werde es nicht gelingen, Ussama Bin Laden gefangen zu nehmen. Die Luftangriffe zerstörten indes nur strategisch bedeutungslose Objekte, die von der Taliban oder den Terroristen längst verlassen worden seien.

In Moskau werden unterdessen die Sicherheitsmaßnahmen verstärkt. Mehrfach kursierten Gerüchte in den letzten Tagen, die russische Hauptstadt könne Ziel eines Angriffs mit chemischen oder biologischen Waffen werden. Der ehemalige Premierminister und Veteran des ersten Tschetschenienkrieges, Sergej Stepaschin, warnt überdies vor Terroristen aus Afghanistan, die womöglich als Flüchtlinge getarnt in die GUS einsickern könnten. Schon jetzt müssten die Sicherheitsvorkehrungen im Süden verstärkt werden.

An den Grenzen Usbekistans und Tadschikistans zum Nachbarn Afghanistan sammelten sich gestern noch keine größeren Gruppen von Flüchtlingen. Das usbekische Verteidigungsministerium dementierte auch Berichte, wonach größere usbekische Truppenverbände in die Grenzregion verlegt worden seien. Auch Meldungen vom Vortag, die Taliban hätten ihre Kräfte an der Grenze bei Termes zusammengezogen, bestreitet Taschkent. Usbekistan ist auffallend bemüht, seine Rolle beim Vergeltungsschlag herunterzuspielen. Weiß man doch im Orient, dass Rache nie verjährt.