Frankreich wartet auf Anfragen

Präsident und Regierung stellen sich demonstrativ hinter die USA. Muslimische Verbände seit Beginnn der Bombardements schweigsamer geworden

aus Paris DOROTHEA HAHN

„Alle Franzosen sind sich einig“, hat Jacques Chirac am Sonntagabend im Fernsehen gesagt. Geradezu beschwörend fügte er hinzu: „Ich weiß es.“ Dann schwor der Staatspräsident seine Landsleute in einer vierminütigen Ansprache zwei Stunden nach Kriegsbeginn darauf ein, dass der Terrorismus „alle Demokratien bedroht“, dass der Kampf dagegen „komplex“ und „gnadenlos“ sein und „lange dauern“ werde. Dass sich französische Einheiten an diesem Kampf beteiligen werden und dass Paris auf weitere Anfragen aus den USA wartet.

Bis zum Wochenende hatte Frankreich den USA lediglich eine Überflugerlaubnis erteilt sowie seine Häfen für US-Kriegsschiffe geöffnet und seinerseits zwei französische Kriegsschiffe auf die Reise geschickt.

Der sozialdemokratische Verteidigungsminister Alain Richard erklärte gestern Vormittag in einem Interview mit dem Radiosender „Europe 1“ wörtlich, es gebe „keinerlei Begrenzung für die Standorte“, von denen aus Frankreich in Unterstützung der USA militärisch eingreifen könnte. Als Möglichkeiten nannte Richard sowohl eine Verstärkung der französischen Seestreitkräfte als auch der Luftstreitkräfte sowie eine Unterstützung durch französische „Spezialtruppen“.

Im Gegensatz zu Staatspräsident Chirac, der am Sonntagabend erklärt hatte, an den ersten Bombardements der USA sei Frankreich nicht beteiligt gewesen, ließ Richard gestern durchblicken, dass möglicherweise bereits französische Soldaten im Einsatz seien. Auf die Frage, ob schon französische Spezialtruppen in Afghanistan seien, antwortete er nebulös: „Sie könnten sich durchaus vorstellen, dass ja.“ Ein golfkriegserfahrener, pensionierter französischer General sekundierte ihm in einem Interview mit dem Boulevardblatt Le Parisien, er würde sich wundern, wenn die französische „Aufklärung“ auf dem afghanischen Boden nicht bereits begonnen habe.

In der Realität stellt sich die nationale Einheit der Franzosen in Sachen Kampf gegen den Terrorismus durchwachsener dar. In den beinahe vier Wochen seit den Attentaten in den USA haben sich alle großen Religionsgemeinschaften, und ganz besonders die verschiedenen Sprecher des französischen Islam, „solidarisch mit dem US-amerikanischen Volk“ erklärt. Fast alle islamischen Sprecher haben auch Verständnis für ein internationales Vorgehen gegen den Terrorismus geäußert. Doch seit dem Beginn der Bombardements in Afghanistan ist ein großer Teil der islamischen Gemeinde in Frankreich in Schweigen versunken.

Geeint hinter der demonstrativen US-Unterstützung der französischen Staats- und Regierungsspitze stehen vor allem die gemäßigten Konservativen – von den Rechtsliberalen der UDF bis zu den NeogaullistInnen der RP – und die französische Sozialdemokratie. Einige von ihnen ließen freilich ein Informationsdefizit erkennen. Darunter Paul Quilès, Chef der Verteidigungskommission des Parlamentes, der die Militärschläge vorsichtig als „sie scheinen vernünftig zu sein“ bezeichnete und von einer „sehr bruchstückhaften Information“ sprach. Schon am Freitagnachmittag hatte der sozialdemokratische französische Premierminister Lionel Jospin im Beisein von Kanzler Schröder in Paris Ähnliches angedeutet. Jospin sagte, er empfinde sich als von Washington „ausreichend informiert“ und schränkte umgehend ein: „für die gegenwärtigen Bedürfnisse“.

Alle anderen politischen Kräfte Frankreichs sind hin- und hergerissen. Angefangen mit den linken Koalitionspartnern der rot-rosa-grünen Regierung. „Diese Militärschläge werden unweigerlich unschuldige Opfer im afghanischen Volk fordern“, erklärte noch am Sonntagabend KP-Chef Robert Hue. In der Parteizeitung Humanité verlangte er sowohl, dass Frankreich den Weltsicherheitsrat einberufe, als auch dass das „nationale Parlament informiert und konsultiert“ werde.

In dasselbe Horn stieß auch der Abgeordnete der Grünen, Noël Mamère. „Wir gehen das Risiko einer gefährlichen Entwicklung ein“, sagte Mamère am Sonntagabend, „obwohl wir wissen, dass die gegenwärtigen Formen des Terrorismus nicht mit Raketen, sondern nur mit internationalem Recht, mit Justiz und mit klarem Vorgehen gegen die Armut und gegen undurchsichtige finanzielle Transaktionen bekämpft werden können.“