„Nutzlose Einschränkung von Rechten“

Von leichterer Abschiebung bis Kronzeugenregelung: Otto Schily schnürt Anti-Terror-Pakete. Der Politologe und Polizeiexperte Hans-Gerd Jaschke kritisiert hektische Maßnahmen, die langfristig den Rechtsstaat verändern

taz: Herr Jaschke, vor wem fürchten Sie sich mehr: Vor terroristischen Attentätern in Deutschland oder vor einem „Big Brother“ Otto Schily?

Hans-Gerd Jaschke: Vor beiden. Schily scheint mir mit seinen Maßnahmen weit über das Ziel hinauszuschießen. Eine terroristische Gefahr in Deutschland hat es auch vor dem 11. September und vor dem Gegenschlag der USA gegeben. Ich bezweifle, dass diese Gefahr viel größer geworden ist.

Gestiegen ist aber die Angst und das Sicherheitsbedürfnis in der Bevölkerung. Muss Schily darauf nicht reagieren?

Ja, aber seine Politik ist vor allem eine Beschwichtigungspolitik. Ob damit tatsächlich die Möglichkeiten verbessert werden, terroristische Anschläge zu verhindern, daran habe ich erhebliche Zweifel. Bei einigen Maßnahmen ist zu befürchten, dass sie langfristig schädliche Folgen haben. Deshalb ist es notwendig, das Maßnahmenpaket von Schily mit Augenmaß zu diskutieren. Mein Eindruck ist, das geht alles viel zu schnell.

Die Regierung steht unter Druck. Wenn sie nicht schnell reagiert, gibt es sofort Kritik..

Das darf aber nicht dazu führen, dass die Maßnahmen ohne die gebotene parlamentarische Beratung beschlossen werden. Manches kann ja sinnvoll sein. Aber wenn man alles zusammen, hektisch und als Paket durchwinkt, bleibt keine Zeit für die nötige Differenzierung.

Nehmen wir uns mal die Zeit. Was halten Sie für gefährlich?

Vor allem jene Maßnahmen, die wenig bis nichts mit Terrorismusbekämpfung zu tun haben, aber Grund- und Freiheitsrechte einschränken.

Zum Beispiel?

Der generalisierte Tatverdacht, etwa bei der Rasterfahndung. Es ist eine nutzlose Einschränkung von Bürgerrechten, wenn jemand ohne konkrete Anhaltspunkte in Verdacht gerät. Noch problematischer ist, dass Flüchtlinge jetzt schon bei Vorliegen eines bloßen Tatverdachts abgeschoben werden sollen. Wer soll diesen Verdacht feststellen? Hier wird die Polizei zum Richter gemacht. Das ist mit den Grundrechten nicht vereinbar.

Schily will die Kronzeugenregelung wieder einführen. . .

Die Kronzeugenregelung hat schon in den 70er Jahren nachweislich kaum Erfolge gebracht.

Reicht dieses Argument? Bei islamistischen Straftätern hat man sie noch nicht ausprobiert. Vielleicht läuft es da ja besser?

Das kann ich mir nicht vorstellen. Man muss davon ausgehen, dass islamistische, gewaltbereite Gruppen einen außerordentlich starken Ehrenkodex haben, der sie davon abhält, sozusagen die Straffreiheit zu erkaufen.

Sie sagten, man soll differenzieren. Welche Maßnahmen halten Sie für sinnvoll?

Die Lockerung des Bankgeheimnisses. Das wäre in der Tat ein Instrument, um die Finanzströme besser kontrollieren zu können. Ich sehe auch keine Bedenken, was eine genauere Überprüfung bei der Erteilung von Visa und bei der Einreise angeht. Fraglich ist nur, ob Kontrollen Erfolg haben werden, weil es islamistische Gewalttäter verstehen werden, diese Hürden zu umgehen, durch illegale Einreise.

Deshalb will Schily die Befugnisse des Bundesgrenzschutzes (BGS) erweitern.

Das halte ich für bedenklich, weil es dem föderalen Prinzip widerspricht, wonach Polizeiarbeit Ländersache ist.

Muss es in besonderen Situationen nicht besondere Maßnahmen geben?

In besonderen Situationen ja, da ist Hilfestellung des Bundes und damit auch des BGS angesagt. Das Problem ist eine Ausweitung der Befugnisse, die langfristig wirkt. Das gilt auch für Einsätze der Bundeswehr im Inland. Man würde sozusagen den Ausnahmezustand auf Dauer verhängen, das halte ich auch für das politische Klima für gefährlich. Wir haben jetzt eine Situation, die vergleichbar ist mit den 70er Jahren: In einer aktuelle Bedrohungslage werden Maßnahmen beschlossen, die den Rechtsstaat auch dann noch verändern, wenn diese Bedrohungslage lange verschwunden ist.

Wird sie denn verschwinden? Teilen Sie die Hoffnung, der Krieg gegen den Terror sei zu gewinnen?

Es bedarf mehr Ehrlichkeit von allen Seiten. Die Regierung darf nicht so tun, als lebten wir nicht in einer Risikogesellschaft. Man kann möglicherweise terroristische Strukturen besser in den Griff kriegen. Aber einen Selbstmordattentäter wird man nicht aufhalten können. Aber auch die Kritiker Schilys sind gut beraten, von ihrem Feindbild abzurücken. Nicht alle Maßnahmen sind falsch. Mehr Schutzmaßnahmen sind notwendig. Die Polizei braucht im Wesentlichen aber nicht mehr Befugnisse, sondern mehr Personal.

INTERVIEW: LUKAS WALLRAFF