Mehr Schutz im ganzen Land

Unmittelbar nach dem Angriff wurden bundesweit die Schutzmaßnahmen verstärkt. Schily warnt vor überstürztem Ruf nach einem Ausnahmezustand

von Wolfgang Gast

Nach den Militärangriffen der USA auf Afghanistan sind die Sicherheitsmaßnahmen bundesweit erheblich verschärft worden. Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) kündigte gestern an, er werde den Bundesgrenzschutz (BGS) um mehrere Hundertschaften aufstocken. Darüber hinaus plädierte Schily vor der Presse für die Einführung einer Kronzeugenregelung. Diese könne dazu dienen, Gehilfen des Extremistenführers Ussama Bin Laden zu ergreifen oder Sprengstoffanschläge zu verhindern. In einer telefonischen Schaltkonferenz vereinbarten der Bundesinnenminister und seine Ressortkollegen aus den Ländern einen verstärkten Schutz einzelner Objekte. Wie ein Sprecher des niedersächsischen Innenministeriums sagte, gilt dies vor allem für britische Einrichtungen wie Garnisonen, Konsulate oder Firmen. Ab heute werden französische und australische Einrichtungen wegen einer möglichen Beteiligung dieser Länder an den Angriffen verstärkt bewacht werden. Einrichtungen der USA und Israels stehen bereits seit Montagabend unter besonderem Schutz.

Der Hannoveraner Sprecher erklärte aber auch, dass nach Einschätzung der Innenminister Deutschland „nicht vorrangig Ziel von möglichen Anschlägen“ sei. Allerdings müsse mit spontanen Demonstrationen von linksgerichteten und islamistischen Gruppen gerechnet werden. Schily sagte aber auch: „Wir dürfen jetzt nicht in den Fehler verfallen, einen Ausnahmezustand auszurufen“.

In Berlin sollen neben dem verstärkten Objektschutz Sonderkontrollen eingeführt werden. Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) erklärte nach einer Sitzung des SPD-Präsidiums, die Bevölkerung müsse mit zusätzlichen Sicherheitskontrollen im gesamten Stadtgebiet rechnen. Nach Angaben des Senatssprecher Helmut Lölhöffel sind diese aber erst für den Fall geplant, dass sich die Sicherheitslage verschärfe. Innensenator Ehrhart Körting (SPD) appellierte an die etwa 200.000 in Berlin lebenden Moslems, mit den Sicherheitsbehörden zusammenzuarbeiten. Auf dem Flughafen in Frankfurt am Main wurden wie an anderen Airports die Sicherheitsbestimmungen verschärft.

In Nordrhein-Westfalen, dem bevölkerungsreichsten Bundesland, wurde die Lage gestern als „ruhig“ beschrieben. Dennoch setzte das Innenministerium in Düsseldorf einen Notfall-Plan in Kraft, bei dem zusätzlich 900 Polizeibeamte speziell zur „Lagebewältigung“ eingesetzt werden. Nach Angaben von Innenminister Behrens wird der Schutz für knapp 500 Einrichtungen im Bundesland besonders verstärkt. Dazu gehörten zur Hälfte jüdische, amerikanische und britische Einrichtungen, zur anderen Hälfte islamische.

Unmittelbar nach Beginn der Angriffe gegen die Taliban trat am Sonntagabend im Kanzleramt die so genannte „Sicherheitslage“ zusammen. Der Krisenstab wurde am 13. September, zwei Tage nach den Terroranschlägen in den USA, erstmals eingesetzt, er traf sich seitdem regelmäßig im Kanzleramt. Ihm gehören Vertreter des Auswärtigen Amts, des Verteidigungs-, Innen- und Justizministeriums an. Dazu kommen noch Mitarbeiter des Bundeskriminalamtes und der Nachrichtendienste. Das Gremium soll die Aktivitäten verschiedener Behörden abstimmen.

Düstere Szenarien entwirft das Magazin „Focus“. Danach werden Anschläge islamistischer Extremisten auch in Deutschland für wahrscheinlich gehalten. Zu dieser Einschätzung komme das Bundeskriminalamt in einer aktuellen Gefahrenanalyse. Nach Angaben von „Focus“ könnten Islamisten eine Allianz mit der linksextremistischen Szene eingehen. Mögliche Ziele seien US-amerikanische Einrichtungen und deutsch-amerikanische Konzerne. Sollte Bin Laden getötet werden, so wird gewarnt, seien „schwerste Gewalttaten zu befürchten“. (mit dpa, ap, rtr)