Müde Freundesgesichter

Plüschige Momentaufnahmen: „The Contemporary Face“ in den Deichtorhallen  ■ Von Christian T. Schön

Schwindel erregend und explosiv ist das aktuelle Ausstellungskonglomerat, das die Deichtorhallen präsentieren. Denn durch die weiten Fluchten der Tillmans'schen Bilderwelt (wir berichteten) führt der verschlungene Weg durch die Ausstellung, streift an zwei Gemälden von Picasso vorbei – und rauscht durch die Portraitgalerie The Contemporary Face zurück in die Gegenwart, zu den erstaunlichen Portraits der jungen, aufstrebenden Amerikanerin Elizabeth Peyton.

Wolfgang Tillmans' Bilder, dies aber nur am Rande, sind schön. Ohne Zweifel. Reizvoll gehängt. Das Problem allerdings, das sich bei der Betrachtung auftut: Werbeanzeigen, Mode-Fotostrecken, Plattencover, Club-Flyer, Edgar-Postkarten: Alle bedienen sich längst derselben, gewöhnlich und allgegenwärtig gewordenen Farben, Proportionen, Perspektiven, Personen und Motive und sind dort Ausdruck eines ästhetischen Selbstverständnisses abseits des vermeintlichen Kunstbetriebes geworden.

Tillmans' konzeptuelle Idee der Verwischung von Kunstwerk und Foto-Auftragsarbeit geht in der „Kunstausstellung“ (anders denn in den Mode- und Musikmagazinen) allerdings leicht verloren und reduziert sich auf die (außer Frage stehende) Schönheit der Bilder. Insofern stellen die abstrakten Blushes und Mental Pictures eine wahrhaftige Neuerung in Tillmans' Werk dar.

The Contemporary Face, der zweiten Ausstellung, kommt dagegen die Aufgabe des Lückenfüllers zu. Ohne die Stütze der beiden Hauptteile würde sie wahrscheinlich auseinander fallen. Picassos Le Corsage Orange (Dora Maar) (1940) dient als Ausgangspunkt für eine kurze Geschichte des zeitgenössischen Portraits: die müden Gesichter von Richard Avedons Prominenten-Fotografien, die „Celebrities“-Fließbandarbeiten von Andy Warhol, die kühle, blasse Malerei von Alex Katz, die schmierigen Stereotypen (Sunnyboy, Flittchen, Starlet) auf Richard Phillips großen Gemälden.

The Contemporary Face macht augenscheinlich, wie viel die Portraitmalerei in den letzten Jahren von Foto und Film gelernt hat. Gegen die fotorealistischen Arbeiten der 33-jährigen Antje Majewksi wirkt Picassos Kubismus wie ein Anachronismus der Kunstgeschichte. Nur wenn man sich ihnen schrittweise nähert, blenden die Gemälde Majewskis geheimnisvoll und unmerklich von Foto über zu Malerei (Pinselstrich!).

Für die 36-jährige Elizabeth Peyton stellt dieses kunsthistorische Intermezzo jedoch keine Konkurrenz dar. Ganz im Gegenteil: Ihr Glanz wird dadurch noch erhöht, dass ihre kaum schreibblattgroßen Ölbilder in die lange Tradition des Portraits gestellt werden. Ein Aspekt, der in anderer Konstellation als dieser wohl untergegangen wäre.

Craig, Tony, Spencer, Chloe, Sarah, Jarvis, Rob, Liam, Kurt, Piotr, Michael Owen und Ludwig II. heißen alle Freunde von Elizabeth. Mit kaum mehr als den Vornamen betitelt sie ihre Portraits in Öl (wie übrigens auch Tillmans, Katz und Majewski). Das öffentliche Leben der Royals und Popstars verschmilzt so mit Peytons Privatleben zu einer (für den Betrachter) flauschigen Fantasiewelt der Intimität.

Dass man sich an ihr nicht stößt, dafür sorgt ein spritziger und beneidenswert leichter Pinselstrich, den die Malerei lange so nicht mehr gesehen hat. Mit kräftigen Farben hebt sie den Portraitierten in den Vordergrund. Die Gesichtszüge gerinnen letztlich alle zum selben sanften, jugendlichen und zugleich androgynen Gesichtsausdruck. Dennoch bleiben Kurt (Cobain), Liam (Gallagher) und Jarvis (Cocker) unverkennbar, wie auch Peytons Freunde bleiben unverkennbar. „Ich male niemanden, den ich nicht bewundere“, sagt Peyton. Zum Vergleich stellt sie ihren Ölbildern eine Auswahl der Fotovorlagen gegenüber.

120 Portraits der ungemein produktiven Künstlerin aus europäischen und amerikanischen Sammlungen haben die Deichtorhallen zusammengetragen, darunter auch Buntstiftzeichnungen, Aquarelle und Lithografien. Am Ende des Rundgangs schließlich ist man erschlagen von den Eindrücken und Gesichte(r)n; der Kopf schwindelig, entfacht sich in ihm ein buntes Feuerwerk: Unbedingt eins von diesen Bildchen mitnehmen!

alle drei Ausstellungen bis 13. Januar 2001 in den Deichtorhallen. Kataloge: Tillmans und Peyton: je 39 Mark, Contemporary Face: erscheint im November