Zwischen Adonis und Adorno

■ Brian Molkos, die Projektionsfläche: Der Placebo-Frontmann ist eigentlich ein Musterbeispiel für Cross-Gender-Heroism. Doch mit der Gitarre in der Hand überwältigt ihn das Testosteron

Über die Androgynität Brian Molkos, Sänger und Gitarrist der britischen Pop-Band Placebo, ist viel geschrieben worden. Ebenso durchgehechelt: Die Debatten über Hype versus Substanz, also: Sind Molko und Kollegen nur deshalb reich und berühmt, weil sie sich mit Drogen-Propaganda und allerlei Dreistigkeiten gegenüber anderen Pop-Schaffenden prächtig vermarkten ließen? Gäbe es wirklich eine derartige Kausalität, könnten auch du und ich Pop-Stars sein. So einfach ist es nicht. Am Ende wird abgerechnet und Erfolg hat nun mal nur sich selbst zum Maßstab, der natürlich auch für die Mittel gilt, die leider nur im Nachhinein als die richtigen erkannt werden können.

Gleichzeitig aber sind diese Mittel in der Summe der Inhalt des Kunstwerks respektive des Produktes. Aus dieser Differenz speist sich die Rezeption des Phänomens Placebo.

Zwischen „Adonis“ und „Adorno“ schlägt das Pendel hier eindeutig Ersterem zu, wie ein Rezensent des Magazins Intro schrieb und damit völlig recht hatte. Molko macht sich ganz Prima als Projektionsfläche. Das Kokettieren mit hedonistischen Konzepten, mit dem Anderssein und den daraus resultierenden Problemen eignet sich mindestens einen Abend lang ausreichend als Ausdruck des frommen Wunsches nach einem irgendwie besseren Leben. „It's a race for rats today“, singt Molko in „Slave To The Wage“ mit seiner markant näselnden Stimme ins Pier 2 hinein, die ein wenig an Peter Murphy von Bauhaus erinnert, ohne dessen Modulationsfähigkeit zu besitzen. Später – und alle singen mit – der Kehrreim: „Run away“. So wörtlich kommt Eskapismus selten daher. Hier immerhin mit Dylan-Zitat und entschiedener Absage an die Welt der Lohnarbeit. Sympathisch.

Musik nun ist natürlich Geschmackssache, aber es ist nicht sehr gewagt zu vermuten, dass ohne Molko – sowohl als Sänger als auch als Popstar – Placebo nicht wären, was sie sind. Sie vertrauten im Pier 2 zumindest für die erste halbe Stunde anscheinend nicht einmal der Tragkraft ihrer Songs. Atemlos folgte einer dem anderen, druckvoll aber ohne Höhepunkte, und die Gleichförmigkeit, gefördert noch durch den PA-Mix, in dem Molkos Stimme alles dominierte, wurde erst aufgebrochen, als endlich Hits wie „Every Me, Every You“ oder „Teenage Angst“ an der Reihe waren und für entspannte Begeisterung sorgten.

Interessanter als die wenig abwechslungsreiche musikalische Darbietung, bei der sich das Trio durch einen vierten Musiker an Bass und Keyboards, gut versteckt im Dunkel des Bühnenrandes, unterstützen ließ, war eher, dass Molko immer dann, wenn er eine Gitarre in der Hand hielt, die Beine breit machte und sich in alles andere als androgyne Rock-Posen warf. Dass die Ursache dafür indes eine biologische Disposition „Mann“ wäre, darf getrost bezweifelt werden, weil selbstredend auch Frauen durchaus die Befähigung zum Machismo haben. Testosteron immerhin sorgt bekanntlich bisweilen für Haarausfall, und was das betrifft, ereilt den als „Cross-Gender-Hero“ apostrophierten Molko das Schicksal der Männlichkeit von hinten: Vom Balkon des gut gefüllten Pier 2 aus war zu sehen, wie sich am Pol die – vielleicht aber auch einfach zu oft gefärbten – Haare zu lichten beginnen.

Abgesehen davon war er ganz einnehmend, tätschelte sich den Po, während er sich in Robert-Smith-Pose vor dem Mikro wand, und sprach ein paar deutsche Worte zum Publikum, unter anderem – zum Abschied vor der letzten Zugabe, zu der sie sich wirklich nicht lange (wenn überhaupt) bitten ließen – ein neckisches „Tschüssie“. Die Fans liebten sie.

Andreas Schnell