Lüsternes Weltall, zuckendes Jojo

Constanza Macras Stück „MIR“ beschäftigt sich in den Sophiensälen mit den Abstürzen im Universum der Liebe

Schläft es sich gut unter rotem Tuch, mit Hammer und Sichel bedruckt? Das Paar, das sich in Constanza Macras Stück „MIR – A Love Story Part One – The Conquer“ unter den Resten einer sowjetischen Fahne aneinander kuschelt, hat im Traum seine friedlichsten Momente. Später arbeiten sie sich eher feindlich aneinander ab – in Dialogen und mit krachenden Schulterwürfen.

„Mit Mir nicht“ steht auf den schulterfreien T-Shirts, die die wohlgerundeten Muskeln der Frauen und Männer sehen lassen. Ein Mann erzählt von Pulsaren und Supernovas, von Blauen Überriesen und Schwarzen Löchern, von pulsierenden Strahlungen und Energie schluckenden Stellen. Eine Frau turnt vor, wie sie durch kosmische Energie zum Orgasmus kommt. Noch nie erschien das Weltall so lüstern wie in dieser Begegnung von wissenschaftlicher Sprache und rhythmischer Gymnastik. Bestünde die Luft aus flüssiger Sahne, die MIR-Besatzung hätte sie schaumig gerührt an diesem Abend mit kreisenden Hintern in roten Slips. Als Zuschauer kann einem taumelig werden, wenn man zu sehr auf diese wirbelnden Pobacken starrt.

Später schlüpfen die Tänzer in weiße Raumanzüge und spielen Jojo. Sie verfolgen sich mit kleinen Kameras und dirigieren die Bewegungen der anderen über Kopfhörer und Mikro. Diese technischen Prothesen verbessern nicht gerade das Klima zwischen den Geschlechtern. In den Bildern mischt sich die große Utopie von der Eroberung des Weltraums mit der kleinen Utopie von der Liebe. Beide haben den Absturz schon hinter sich: Ihre Bruchstücke verkittet Constanza Macras mit Zitaten aus TV-Serien und Bildern des Fitnesswahns. Die Collage, die dabei herauskommt, ist witzig, albern, überdreht.

Sie könnte aber noch viel mehr sein, nähme Macras ihr Material ernst. Doch alles wird nur auf griffige Codes abgetastet. Dieser Stil des Antippens und Markierens hatte einen überwältigenden Charme, solange die Gruppe ihre Performance mit Cocktails mischte und in kleinen Portionen auf einer Party servierte. Die Auftritte im Metzgerladen oder in der Herrentoilette der Schaubühne Anfang des Jahres wurden legendär. Macras Gruppe „tamagotchi Y 2 K“ verschmolz mit neuen und alten Schaubühnenmitgliedern zum losen Schwarm, der mehr spontan denn aus Inszenierungswillen zusammengefunden zu haben schien. Die Grenzen zwischen Zuschauern und Teilnehmern weichten auf, die Dramaturgie folgte der Dynamik eines sanft ansteigenden Rausches.

Der Wille zu solcher Verklammerung ist in den Sophiensälen zwar spürbar, aber er ist formal erstarrt. Das Publikum sitzt wie in den Zacken eines Sterns zwischen den Spielflächen. Die Platzanweiserinnen, vier resolute ältere Damen aus einem Geschäft um die Ecke, die Krawatten und alte Orden angelegt haben, tanzen mit. Das ist eine nette Geste symbolischer Verbrüderung, die gut in das alte Gewerkschaftshaus passt. Sie bleibt ein aber ein plakatives Anhängsel, kaum integriert in das Stück.

KATRIN BETTINA MÜLLER

„MIR“, 10.–14. 10., 20 Uhr, Sophiensäle, Sophienstraße 18