Schmerzensmann Bin Laden

Das Schlagloch von VIOLA ROGGENKAMP

Die Verbrechen gegen Frauen dürfen nicht als Eigenart der islamistischen Männerwelt toleriert werden

Vielen fundamentalistischen Bewegungen fehlt die Einsicht, dass der männliche Körper –und seine gesellschaftliche Funktion – das Produkt einer symbolischen Zuschreibung und nicht Ausdruck einer „natürlichen Ordnung“ ist. Christina von Braun

Was wird sein, wenn Bush ihn hat? Diese Zeitung wird mit Trauerrand erscheinen, Bin Laden, bin Opfer, wird sie titeln, und es wird vielen ein Fest sein, einen neuen Schmerzensmann zu haben, von dem sie zehren können. Sieht er dem Erlöser der Christen nicht überhaupt ein bisschen ähnlich?

Seit dem Anschlag auf Amerika wird in Deutschland Einfühlung den Tätern gegenüber gezeigt. Eine nur auf ihren Vorteil bedachte Weltherrschaft habe die Tat provoziert. Den Toten gegenüber Betroffenheit, den Tätern gegenüber Verständnis, sie seien die wahren Opfer. Sagen wir nicht sofort, das hat eine besondere Tradition in Deutschland, aber verbieten wir diesen Gedanken auch nicht.

Es gab einen ersten Schock, und seitdem wird im öffentlichen Raum, in Diskussionen auf hohem Niveau, der massenmörderische Anschlag wegerklärt. Als eine besondere Leistung menschlicher Einsicht wirbt der Psychoanalytiker Horst-Eberhard Richter dafür, man möge zu denken wagen, dass die Opfer ihre Ermordung mit verschuldet haben.

Das Streben nach Schuldübernahme, verfolgt man die Debatten in Deutschland, scheint ungeteilt zwischen den Geschlechtern, zusätzlich gibt es eine Ebene, auf der Männer unter sich frohlocken: die brillante Logistik des Anschlags wird bewundert, und Klaus Theweleit, der bekannt ist durch seine Arbeit über männliche Größenphantasien und männliche Destruktivität, bezeichnet die Zerstörung der beiden Türme des World Trade Centers als Anschlag auf den Doppelphallus westlicher Männermacht, als „Tritt in die Eier, der auch auf den Kopf zielte“ (taz vom 19. 9.).

Als ginge es um ein Happening, als sei das Ziel der Selbstmordattentäter nicht exakt der Ort gewesen, an dem zu diesem Zeitpunkt in den USA die meisten Menschen versammelt waren. Wenn Theweleit diesen mörderischen Anschlag islamistischer Selbstmordattentäter als einen zerstörerischen Akt auf die männlichen Genitalien der modernen westlichen Welt bezeichnet, dann wird er wissen, dass er mitgetroffen wurde. Seine analytische Häme aber klingt nach Identifizierung mit den Tätern.

Der Wunsch nach Teilhabe an der drohenden Gewalt, das sich identifizierende Anschmiegen an die Täter, ist eine Möglichkeit, eigene Ängste abzuwehren. Ganz allgemein könnte das unter dem Streben nach Schuldübernahme und dem gezeigten Verständnis für die Tat liegen. Um seiner Tötung zu entgehen, bietet sich das potenzielle Opfer an, ein Akt der Unterwerfung, eine Art Selbstkastration. Unaushaltbar scheint es, sich der eigenen Verletzlichkeit zu stellen.

Kastrationswünsche gegenüber dem Anderen verbinden sich mit der Vorstellung von eigener Vollkommenheit, einer Vollkommenheit, die es gar nicht gibt, eine männliche Vollkommenheit, wie sie sich kriegerische Männlichkeit zusammenphantasiert, wie sie in islamistischen Herrschaftssystemen mit brachialer Gewalt gegenüber Frauen ausgelebt wird.

Die westliche Welt ist Ziel von Fanatikern geworden, die sich als Märtyrer des Islams verstehen. Vor vier Wochen. So verletzlich sind wir. So einfach ist es, uns zu treffen in unserer hoch technisierten Welt.

Nach dem 11. September haben Juden in Deutschland einen Augenblick lang gehofft, nun werde man Israels Situation verstehen, und ich habe einen Moment lang gehofft, jetzt wird man endlich begreifen, dass der Terror, dem Frauen in islamistischen Systemen ausgesetzt sind, nicht zu trennen ist von dieser Wahnsinnstat. Wir haben uns geirrt. Von Israel wird erwartet dafür zu sorgen, dass sich solche Anschläge nicht wiederholen, und von den Frauen ist gar nicht die Rede.

Männlicher Fanatismus, männlicher Frauenhass, männliche Destruktivität und männlicher Größenwahn, das ist das Fundament von Faschismus. Auf diesem Fundament stand auch der deutsche Faschismus, Frauen sollten Söhne gebären, mehr nicht. Und auch der deutsche Faschismus hatte die Wahnvorstellung von einer jüdischen Weltherrschaft, genauso wie der islamistische Faschismus.

Dass der Koran diesen Faschismus nicht legitimiere, versichern mir Frauen und Männer aus diesen Ländern. Sie leben im Exil in Deutschland. So wie diese muslimischen Frauen hierzulande leben, wie sie sich kleiden, dass sie studieren und Geld verdienen, dafür würden sie in ihrer Heimat verhaftet, Körperteile würden ihnen abgehackt, sie würden zu Tode gesteinigt. Verboten ist den Frauen die sexuelle Selbstbestimmung, Frauen werden vorsätzlich abhängig und dumm gehalten. Israel inmitten der arabisch-islamischen Welt ist mit seiner Gleichberechtigung von Frau und Mann eine extreme Herausforderung für solche Systeme.

Was mit Frauen in Afghanistan und in anderen islamistischen Ländern geschieht, ist ein Verbrechen gegen die Menschheit. Es ist zu befürchten, dass die westliche Welt trotzdem bereit ist, diese Verbrechen gegen Frauen weiterhin als kulturelle Eigenart der islamistischen Männergesellschaft zu tolerieren. Letztlich aber führt die Versklavung der Frau und ihre Vertreibung aus der Öffentlichkeit in gesellschaftliche Katastrophen, die männliche Größenphantasien hervorbringen. Eine davon war der 11. September.

Der Wunsch nach Teilhabe an der drohenden Gewalt ist eine Möglichkeit, eigene Ängste abzuwehren

Größenphantasien und Größenwahn haben mit Minderwertigkeitsgefühlen zu tun. Frau und Mann müssen in ihrer Seele damit fertig werden, nicht vollkommen zu sein. Es geht um die wechselseitige Anerkennung im Wissen um die gegenseitige Abhängigkeit. Im gesellschaftlichen und privaten Zusammenleben versuchen wir, damit klarzukommen.

Die eigentliche narzisstische Wunde aber ist wohl gar nicht die geschlechtliche Unvollkommenheit, sondern die eigene Endlichkeit. Dass wir sterben werden, ist das einzige, was wir von unserer Zukunft wissen. Wir werden uns vielleicht einmal klonen lassen können, aber wir werden es nicht mehr sein. Nichts kommt dieser narzisstischen Verwundung gleich.

Faschistische Systeme arbeiten mit der Leugnung dieser narzisstischen Wunde, so rekrutieren sie auch ihre Selbstmordattentäter: Tödliche Macht über das Leben anderer, für den Mörder ewiges Leben, dazu 700 Jungfrauen im Paradies und 10.000 US-Dollar für die hinterbliebene Familie. Das Testament des islamistischen Selbstmordattentäters Mohammed Atta war ein Beleg dafür.

Die eigene Endlichkeit beginnt mit dem Eintritt ins Leben, und den bewirkt die Frau. Nur aus der Frau kommt die Frau und kommt der Mann. Die Frau ist die Gebärende, durch sie beginnt der Ablauf der eigenen Endlichkeit. Vielleicht hat hier Frauenhass und Mutterhass in beiden Geschlechtern seinen Ursprung. Das Gefühl des Mangels mag sich festmachen am Neid auf die Potenz des anderen Geschlechts, die narzisstische Kränkung, nicht vollkommen zu sein, meint im Tiefsten der Seele die eigene Endlichkeit.