Fehlender Bodenradar als Unfallursache?

Auf dem Mailänder Flughafen Linate, wo am Montag bei der Kollision zweier Flugzeuge 114 Menschen starben, gibt es keinen funktionierenden Bodenradar. Zwar wurde eine moderne Anlage installiert, doch die ist nicht in Betrieb

ROM taz ■ 118 Tote forderte die Flugzeugkollision, die sich am Montag auf dem Mailänder Flughafen Linate ereignet hatte. Neben den 110 Insassen des SAS-Jets und den vier Personen an Bord der Cessna starben auch vier Arbeiter, die in der von der SAS-Maschine getroffenen Gepäckabfertigungshalle beschäftigt waren.

Noch während die Toten geborgen wurden, setzte die Diskussion über die Unfallursachen ein. Einen abschließenden Befund lieferte sofort der für Verkehr zuständige Infrastrukturminister Pietro Lunardi. „Menschliches Versagen“ des Piloten der Cessna diagnostizierte Lunardi. Ähnlich argumentiert auch die Luftraumüberwachungsbehörde Enav. Ihr zufolge habe der deutsche Pilot des Privatflugzeugs entgegen den Anweisungen die Startbahn gekreuzt und auf dem Weg dorthin zwei rote Ampeln missachtet.

Zugleich aber wurde bekannt, dass Linate – mit acht Millionen Passagieren Italiens drittgrößter Flughafen – seit fast zwei Jahren ohne einen funktionsfähigen Bodenradar auskommen muss. Am Montag früh herrschte bei starkem Nebel eine Sichtweite von nur 175 Metern. Weder die Fluglotsen im Kontrollturm noch der Pilot in der gerade startenden SAS-Maschine konnten deshalb rechtzeitig wahrnehmen, dass die Cessna auf die Piste rollte. Deshalb fragen jetzt die Gewerkschaften der Piloten und Fluglotsen ebenso wie der Sprecher der Linate anfliegenden Linien, weshalb der häufig von Nebel betroffene Flughafen seit 1999 ohne Bodenradar auskommen muss. Damals wurde die alte Anlage wegen Funktionsunfähigkeit außer Dienst gestellt.

Die mehrheitlich in Besitz der Stadt Mailand befindliche Flughafenbetreibergesellschaft SEA ließ zwar ein neues, hoch modernes System installieren; diese Anlage aber ging nie in Betrieb. Mal waren Softwareprobleme, mal das Fehlen eines Verbindungssteckers verantwortlich.

Schon im August war es auf Mailands größtem Flughafen Malpensa beinahe zu einer ähnlichen Kollision gekommen. Als damals ein Fluglotse den Ausfall des Bodenradars als Mitursache des Beinahe-Crashs anprangerte, wurde ihm mit Versetzung gedroht. Eine Woche vor der Katastrophe von Linate hatte eine Zeitung der Transportgewerkschaft dem stillgelegten Radarsystem einen ganzen Artikel gewidmet. Jetzt äußert auch Innenminister Claudio Scajola Erstaunen: Es sei eine Schande, dass Italien ein solches Unglück erleben und erfahren müsse, dass nichts zu seiner Vermeidung getan worden sei. MICHAEL BRAUN