Berichte aus der existierenden Welt

Lange nach der Apokalypse – so lange, dass man gar nicht mehr weiß, ob sie eigentlich stattfand – ist das Konkreteste die Paranoia. Alles draußen ist gefährlich. Da preist die Performancegruppe Gob Squad „The Great Outdoors“ im Podewil

von CHRISTIANE KÜHL

Am Ende kam alles ganz anders. Also, das Ende kam schon, aber eben anders. In Gob Squads letzter Performance „Say It Like You Mean It – The Making Of A Memory“, vor einem Jahr im Podewil vorgestellt, ging die Welt unter. Das war gar nicht schlimm, im Gegenteil. Eigentlich war es recht entspannend. Weil sonst nichts mehr zu tun war – das Draußen war ja weg, das haben Weltuntergänge so an sich –, feierte das Publikum drinnen, „sicher wie vakuumverpackte Würstchen“, eine ausgelassene Kinderfaschingsparty. „The world has reached it’s Haltbarkeitsdatum“, lautete die lapidare Erklärung, während man schon mit Eierkartons und buddhistischem Grinsen an einer neuen bastelte. Mit Perspektive: Einige stellten sie sich als „eine Welt voller geistreicher Witze“ vor.

In der Zwischenzeit ist die Welt wirklich untergegangen, zumindest „the world as we know it“. Ein Smith’sches „and i feel fine!“ hat sich dabei nicht eingestellt. 5.000 Menschen sind in Amerika zertrümmert und verbrannt, und wie viele von denen, die in Afghanistan noch nicht verhungert sind, den Krieg gegen Terroristen überleben werden, ist ungewiss. Milzbrand und der Gedanke an explodierende Atomkraftwerke lassen nun auch an anderen Orten individuelle Safety-Vakuumverpackungen attraktiv erscheinen. Und genau jetzt, da alles draußen bedrohlich ist, weil der Feind potenziell in jeder U-Bahn und konkret im unzugänglichen Bergland sitzt, preisen Gob Squad „The Great Outdoors“.

Das Stück beginnt mit Nacht, Stille. Rechts auf der Bühne ein kleines Zelt, in der Mitte ein Campingtisch mit Kocher und anderen Utensilien, rundherum ein Dutzend Stative mit oder ohne Kameras und Mikros, wie Baumstümpfe in einer kargen Landschaft. Den Himmel bilden zwei große Videoscreens. Auf der einen computergenerierte Natur, auf der anderen ein Chat. User mit Namen wie Jack Wolfskin kommunizieren da über Schlaf und Sonne. Die Luft sei zum Schneiden, stellt nach einiger Zeit einer fest, jemand anders bittet, den Ellbogen aus seinem Gesicht zu nehmen. Offensichtlich sind diese Menschen nicht virtuell, sondern physisch beieinander. Die Verdachtkultur zeigt sich von ihrer aktuellsten Seite. Was lesen wir denn dann auf dem Screen? Eine FBI-ultimo-Urlaubsmitschrift?

Der Reißverschluss am Zelt öffnet sich, Sean Patten springt in voller Mountain-Montur heraus. Die Sonne geht auf, Synthesizerbeats setzen ein, und der junge Mann singt einen Grand-Prix-kompatiblen Diskoreißer über Pioniere in „The Great Outdoors“. Voller Tatendrang verschwindet er. Auch Berit Stumpf und Johanna Freiburg krabbeln aus dem Zelt, braten ein Rührei, packen es in Tupperware und machen sich auf den Weg. Die eine sucht „das echte Leben“, die andere will „nur raus hier“. Infrarotkameras begleiten sie in die Nacht. Langsam dämmert dem Zuschauer, weshalb auf dem Programmzettel die „cast in order of disappearance“ genannt ist.

„The Great Outdoors“ spielt lange nach der Apokalypse. So lange, dass man gar nicht weiß, ob sie je stattgefunden hat; leibhaftig ist allein die Paranoia.

Gob Squads multimediale Erzählung fußt auf einer Art agnostischem Schlenker, den das Publikum erst allmählich nachvollzieht. Als Theatergucker konditioniert, ist man sofort willfährig, das Camping-Set-up auf der kargen Bühne als post-katastrophische Landschaft zu lesen. Alles tot, der Mond ein blutig’ Eisen. Wenn die Leute den Raum verlassen, weiß man sie in den ebenso schnell herbeifantasierten Rocky Mountains oder in erdbodengleichen urbanen Wüsten. Spätestens wenn der Letzte aus dem Zelt gekrochen kommt, sich an den Tisch setzt, einen Berlin-Plan aufschlägt und den ISDN-Telefonhörer unter die Pelzmütze schiebt, muss das Illusionshirn aber wieder Richtung Normalnull geschraubt werden. Das Theater ist keine Landschaft, sondern ein geschlossener Raum; wer es verlässt, ist draußen. Draußen ist Berlin.

„You should come out! I am at Alexanderplatz and it’s totally save out here!“, informiert einer der Explorer über Handy den Letzten der Vakuumverpackten. Simon Will zögert: „I’m trying to put a plan together.“ Manchmal zeichnet er, was die anderen vom Draußen berichten; meistens hört er nur still, staunend und ein wenig missbilligend zu. In der Paranoia hatte man sich schließlich gut eingerichtet. Die Kameras folgen den Figuren sehr lange live durch die Stadt, ihren Gesprächen mit Passanten, auf der Suche nach „dem Weg ganz raus“ („Da nehmen Sie am besten die S-Bahn“). Berlin, die Nacht, die Kunst werden ein langer, ruhiger, schöner Bilderfluss aus Überwachungskameras.

„The Great Outdoors“: bis 14. 10., 21 Uhr, Podewil, Klosterstr. 78–80, Mitte