Rauschen in seiner globalen Variable

Die Net.Night in der Staatsbank stellte die Ergebnisse eines Workshops für computergenerierte Netzmusik vor

Nick, gerade irgendwo im Zug zwischen Brüssel und Amsterdam, war ebenso zu hören wie fünf weitere auf der Welt von Tokio bis Rotterdam verteilte Menschen, dazu die Absolventen eines Berliner Workshops. Nicht ihre Stimmen kamen aus den Lautsprechern an der hohen Decke, sondern die von ihnen zeitgleich auf Computern erzeugten Töne. Das Ergebnis war ein von gesampelten Reden durchsetztes Gefiepe und Gerausche. Im Hintergrund, auf einer weißen Leinwand, waren abwechselnd Videoprojektionen von zerfließenden Plattenbauten und Sowjetemblemen zu sehen.

Mit dieser Performance eröffnete der Belgier Guy van Belle am Dienstagabend die Net.Night in der Staatsbank. Im Anschluss an die 15. Dresdner Tage der Zeitgenössischen Musik wollte man nun auch in Berlin zeigen, wo inzwischen die Grenzen und Möglichkeiten der via vernetzte Computer kollektiv erzeugten Musik liegen. Neu ist diese Idee nicht, machte sich doch schon 1985 das amerikanische Ensemble „The Hub“ daran, das Potenzial von miteinander verbundenen Rechnern für die Musik zu erforschen. Aber erst durch den Aufstieg des Internets wurde diese Idee um die Variable der Globalität erweitert.

So war es auch nicht weiter verwunderlich, dass die von dem Musikwissenschaftler Golo Föllmer organisierte Veranstaltung mit dem hageren Belgier van Belle begann. Obwohl bei dem gleichzeitigen Miteinander der vielen Akteure zu keinem Zeitpunkt auch nur eine Spur von erkennbaren Rhythmus, geschweige denn Melodie aufkam, war es doch eine eindrucksvolle Demonstration des durch Technik Machbaren. Jeder Teilnehmer konnte, wann immer er wollte, von wo auch immer, von der Rolle des passiven Zuhörers in die des aktiv Gestaltenden schlüpfen. So wechselten die Absolventen des zweitägigen Workshops von einem der auf kreisförmig angeordneten Tischen stehenden Computern zum nächsten – oder stellten sich einfach nur mal daneben.

Weniger um das Auflösen trennender Entfernung ging es dem nachfolgenden Spanier Sergi Jordá. Bei seinen drei in Duetten an einander gegenüberstehenden Rechnern gespielten Stücken ging es vor allem um Musik. Mit dem von ihm für die Faustadaption „F@ust Music On Line“ entwickelten Programm FMOL versuchte er, neue Wege für die elektronische Musik aufzuzeigen. Die jeweiligen Töne wurden bei dem auf die Leinwand projizierten Programm durch mit Samples belegte, farbige Linien variiert.

Zum Schluss wurde mit dem ehemaligen Hub-Mitglied Chris Brown der Link in die Vergangenheit der interaktiven elektronischen Musik geschlagen. Musik im klassischen Sinne war bei seinen offenen Duetten für den Zuhörer kaum zu erkennen – aber darum geht es bei Netzmusik auch nicht. Flexibilität, Experiment und Systemhaftigkeit stehen im Zentrum dieser Produktion, die im Augenblick ihrer Vollendung bereits gestorben wäre. TOBIAS RECKLING