„Das schweigende Schulterzucken“

Gegenüber dem geplanten Holocaust-Mahnmal wurde gestern ein symbolisches Bauschild für ein weiteres Denkmal enthüllt: Es soll an die Verfolgung der Homosexuellen in der Nazizeit erinnern – die auch nach 1945 in der Bundesrepublik weiterging

von PHILIPP GESSLER

„Der Blockführer war ein ganz brutaler Kerl, ein besonders grässlicher Mensch, ein Schwulenverderber. Der bekam seine Anweisungen: ‚Der lebt heute nicht mehr. Mach ihn fertig!‘ usw. Mit Fäusten und mit Fußtritten hat der auf den Häftlingen rumgetrampelt, bis sie tot waren.“

In Zeiten, da die NPD Wahlkampfplakate mit dem Spruch „Normal, nicht schwul“ aufhängt, ist es an der Zeit, daran zu erinnern, was homosexuelle Männer in der Nazizeit erleiden mussten. Trotz eines „Und das ist gut so“-Stadtoberhauptes bleibt es ein Zeichen, wenn am Rand des Tiergartens gegenüber dem geplanten Holocaust-Mahnmal ein symbolisches Bauschild für ein „Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen“ enthüllt wird, wie gestern geschehen.

Der etwa sechs Millionen jüdischen Opfer der Nazis wird – wenn auch meist widerwillig – schon seit Jahrzehnten gedacht. Auch die ungefähr 500.000 Ermordeten unter den Sinti und Roma erhalten nun bald ein Mahnmal südlich des Reichstages auf einer Lichtung des Tiergartens. Die homosexuellen Verfolgten des Naziterrors aber waren über Dekaden ein Tabuthema. Schlimmer noch: Der Naziparagraf, der die Verfolgung juristisch legitimierte, hatte in der Bundesrepublik bis 1969 Bestand. Es war der berüchtigte Paragraf 175 des Strafgesetzbuchs.

Als dieses Gesetz abgeschafft wurde, hatte es schon fast 100 Jahre gewütet. Es stammt noch aus der Kaiserzeit: Mit § 175 Reichsstrafgesetzbuch wurde ein schwulenfeindliches Sonderstraftrecht geschaffen, das homosexuelle Handlungen unter Strafe stellte. In der Weimarer Republik wurde der Paragraf übernommen, aber in der Rechtsprechung liberalisiert: Demnach galt etwa die gegenseitige Onanie unter Männern nicht als Geschlechtsverkehr, der weiter bestraft wurde, wie Günter Dworek, Sprecher des Lesben- und Schwulenverbandes (LSVD) erklärt – und einen Koitus nachzuweisen war so glücklicherweise nur schwer möglich.

Diese immer noch diskriminierende, aber immerhin liberalere Rechtspraxis beendeten die Nazis mit ihrer Machtübernahme 1933 sofort. Homosexuellenorganisationen wurden aufgelöst, Zeitschriften eingestellt, Lokale geschlossen. Eine Welle organisierter Verfolgungsaktionen setzte 1934 ein. Der schwule SA-Führer Ernst Röhm, dem Hitler einen Putschversuch unterstellte, wurde mit seinen Kameraden ermordet, eine Homosexuellenhatz begann. Schwule wurden nun von der Gestapo erfasst, kriminalisiert, viele inhaftiert und zwangskastriert. Der Paragraf 175 wurde 1935 verschärft. Bis zu 10 Jahren Zuchthaus konnten Schwule nun erhalten (Lesben wurden nicht verfolgt).

In den Nazijahren wurden etwa 50.000 Schwule auf Grundlage des Paragrafen 175 verurteilt. Wohl zwischen 10.000 und 15.000 Männer wurden in Konzentrationslager verschleppt. Ein Häftling erinnert sich an diese Leiden: „Juden, Homos und Zigeuner, also die gelben, rosa und braunen Winkel, waren die Häftlinge, die am häufigsten und schwersten unter den Martern und Schlägen der SS und Kapos zu leiden hatten. Sie wurden als Abschaum der Menschheit bezeichnet, die überhaupt kein Lebensrecht auf deutschem Boden hätten und daher vernichtet werden müssten. [. . .] Aber der allerletzte Dreck aus diesem Abschaum, das waren wir, die Männer mit dem rosa Winkel.“

Laut Dworek schätzen Historiker, dass gerade mal ein Drittel der inhaftierten Schwulen die KZs überlebte. Dennoch blieb der Naziparagraf in seiner verschärften Fassung bis 1969 in der Bundesrepublik in Kraft – während die Verschärfung immerhin in der DDR rückgängig gemacht wurde. In Westdeutschland erkannte das Bundesverfassungsgericht noch 1957 den Paragrafen als „ordnungsgemäß zustande gekommen“ an. Wegen § 175 in der NS-Zeit Verurteilte erhielten keine Entschädigung. Nur aufgrund des „Allgemeinen Kriegsfolgengesetzes“ konnten Schwule eine Wiedergutmachung beantragen. Doch für die Beantragung dieser Einmalzahlung in Höhe von 5.000 Mark blieb bis Ende 1959 nur gut ein Jahr Zeit. Zugleich mussten sich die Homosexuellen gegenüber den Behörden outen – und das in einer Phase, in der der Paragraf 175 gerade mal wieder besonders häufig angewandt wurde. Die Folge: Nur etwa 14 Anträge gingen ein, nur 8 wurden positiv beschieden. Dafür wurden in Westdeutschland bis 1969 fast ebenso viele Männer nach § 175 verurteilt wie zwischen 1933 und 1945, etwa 50.000, wie Dworek erläutert. Und erst vor sieben Jahren, 1994, wurde der Paragraf 175 StGB endgültig abgeschafft!

Auf dem symbolischen Bauschild wird denn auch „an die Opfer des auch nach 1945 weiter geltenden § 175 StGB“ erinnert. Dies ist die eigentliche Brisanz des Gedenkorts. Die frühere Präsidentin des Abgeordnetenhauses, Hanna-Renate Laurien (CDU), verwies vor dem Bauschild darauf, dass der Bundestagsbeschluss zum Bau des Holocaust-Mahnmals das Engagement für die stärkere Würdigung nichtjüdischer Opfergruppen einschloss. Albert Eckert von der Initiative „Der homosexuellen NS-Opfer gedenken“ forderte, das „schweigende Schulterzucken“ dürfe nicht weitergehen. Die Bundesrepublik brauche einen zentralen und würdigen Gedenkort für die auch nach 1945 malträtierten Schwulen: „Das ist dieses Land den verfolgten Homosexuellen schuldig.“