„Kopfpreis, tot oder lebend“

Auf der Kriegsbuchmesse entdeckt (4): Ernst Jüngers „Gegen Inder“

Wir hatten Inder vor uns, weit übers Meer gekommen, um sich die Schädel einzurennen.

Ernst Jünger reitet wieder! Dem rüstigen Knäckerkopf ist es in seinem Heldengrab eng geworden, stickig und langweilig, fast so langweilig wie im Stellungskrieg 1914/18. Aus aktuellem Anlass hat der beliebte deutsche Volksschriftsteller seinen Tagebuchroman „In Stahlgewittern“ exhumiert. An das, was Karlheinz Deschner schon in den 50er-Jahren als „Brei auf Stelzen“ erkannte, muss allerdings keine letzte Hand mehr angelegt werden – es kann so bleiben, wie es ist. Hier einige unveränderte Auszüge aus dem Kapitel „Gegen Inder“:

„Ein einzelner Schütze trat aus dem Waldsaum heraus und kam auf uns zu. Einer beging den Fehler, ihm ‚Parole!‘ entgegenzurufen, worauf er unschlüssig stehenblieb und sich umdrehte. Ein Späher offenbar. ‚Schießt ihn kaputt!‘ Ein Dutzend Schüsse; die Gestalt sank zusammen und glitt ins hohe Gras. Das Zwischenspiel erfüllte uns mit Genugtuung.

Nun bot sich uns ein Bild, wie es in diesem Kriege der weithintreffenden Waffen kaum noch zu sehen war. Aus dem Dunkel des Unterholzes löste sich eine Reihe von Schatten und trat auf die offene Wiese hinaus. Fünf, zehn, fünfzehn, eine ganze Kette. Auf fünfzig Meter waren sie heran, auf dreißig, auf fünfzehn ... Feuerrr! Minutenlang knarrten die Gewehre. Funken sprühten auf, wenn spritzende Bleikerne gegen Waffen und Stahlhelme wuchteten. Die Leute flogen herum und empfingen die Ankömmlinge stehend. Einige der Gegner, darunter der Führer, brachen unter den hastig abgefeuerten Schüssen zusammen. Das war der Augenblick zum Draufgehen. Mit aufgepflanztem Seitengewehr und wütendem Hurra stürmten wir das Wäldchen. Handgranaten flogen in das verschlungene Gestrüpp, und im Nu waren wir wieder im Alleinbesitz unserer Feldwache, allerdings ohne den geschmeidigen Gegner gepackt zu haben.

Während wir uns die Feldflaschen boten und eine Zigarette ansteckten, hörten wir, wie sich der Gegner mit einigen laut jammernden Verwundeten durch den Hohlweg entfernte. Wir erblickten sogar für einen Augenblick seinen Zug, leider nicht lange genug, um ihm den Rest geben zu können. Aus der Wiese stiegen fremdartige Rufe und Schmerzensschreie auf. Die Stimmen erinnerten an die Laute der Frösche, die man nach einem Gewitter in den Wiesen hört. Wir entdeckten im hohen Grase eine Reihe von Toten und drei Verwundete, die uns, auf ihre Arme gestützt, um Gnade anflehten. Wir hatten Inder vor uns, weit übers Meer gekommen, um sich auf diesem gottverlassenen Stück Erde an hannoverschen Füsilieren die Schädel einzurennen.

Die zierlichen Gestalten waren übel zugerichtet. Auf diese kurzen Entfernungen nimmt das Infanteriegeschoß Sprengwirkung an. Zum Teil waren sie im Liegen zum zweiten Mal getroffen, so daß die Geschoßbahn sich durch die ganze Länge des Körpers zog. Keiner hatte weniger als zwei Schüsse bekommen. Wir nahmen sie auf und schleppten sie unserem Graben zu. Da sie schrien, als ob sie am Spieße stäken, hielten ihnen meine Leute den Mund zu und drohten mit der Faust, wodurch sie in ihrer Angst noch bestärkt wurden. Einer starb unterwegs, aber er wurde doch noch mitgenommen, da auf jeden Gefangenen, ob tot oder lebend, ein Kopfpreis stand.

Das war kein Krieg mehr; es war ein uraltes Bild. Ich zog mich mit Kius, der gleich ein halbes Dutzend Aufnahmen machte, in unsere Hütte zurück und ließ mich von ihm zur Feier des Tages mit Spiegeleiern bewirten. Unser kleines Gefecht wurde im Divisionstagesbefehl erwähnt. Begierig hatte ich während der Langeweile des Stellungskrieges auf eine solche Gelegenheit gehofft.“

DOKUMENTIERT VON

WIGLAF BASMATI DROSTE