BIN LADENS AL-QAIDA DROHT MIT TERROR – DAS NUTZT DEN USA
: Glaubwürdig ohne Beweis

Ein merkwürdiger Krieg hat begonnen, ein Krieg bei dem sogar unklar ist, was schließlich als Sieg, was als Niederlage gelten wird. Kein Wunder also, dass in den Köpfen Verwirrung herrscht: Laut einer Umfrage unterstützen fast 60 Prozent der Deutschen die US-Angriffe, allerdings meinen nur 47 Prozent, dass Bin Laden für den Anschlag verantwortlich ist. Offenbar glauben also viele, dass Bin Laden nicht schuldig ist, es aber trotzdem in Ordnung geht, Kabul zu bombardieren.

Das ist ziemlich bizarr – Ausdruck des Gefühls, dass man den USA irgendwie das Recht auf Rache zugesteht, ohne ihnen zu glauben. Aber diese Stimmung hat einen rationalen Kern: Denn die USA behandeln Bin Laden seit dem 11. September als sicheren Täter, auch wenn triftige Beweise fehlen. Auch das Dossier, dass Tony Blair kürzlich veröffentlichte, beseitigt dieses Missverhältnis nicht. Es versammelt Vermutungen, historische Fakten über die enge Beziehung zwischen Taliban und al-Qaida und viel Wissenwertes. Doch die harten Fakten über die Ereignisse des 11. September sind dünn: Drei der 19 Flugzeugentführer hatten Kontakte zu al-Qaida. Das ist alles.

Amerika sollte wissen, dass „der Sturm der Flugzeuge“ nicht aufhören wird – diese Terror-Drohung ist der Kernsatz der gestrigen Erklärung von al-Qaida. Was bedeutet er? Der Verdächtige weist den Vorwurf, das Verbrechen am 11.9. begangen zu haben, nicht zurück. An Stelle dessen suggeriert al-Qaida, dass Ähnliches wieder geschehen könnte, freilich ohne „wir werden“ zu sagen, ohne eine eigene Täterschaft anzukündigen. Dies ist also kein Schuldeingeständnis, wie Tony Blair gestern triumphal verkündete – weder im wörtlichen Sinn noch juristisch. Aber es ist eine Art, die politische Verantwortung zu übernehmen. Al-Qaida versucht damit, ebenso wie schon Bin Laden per Video, sich als Kriegsgegner der USA zu etablieren.

Die Beweislücke gegen Bin Laden existiert auch nach dieser dieser Erklärung noch – aber sie rückt in den Hintergrund. Bei der nächsten Umfrage dürften wesentlich weniger an Bin Ladens Schuld zweifeln. Das nutzt den USA. Denn in diesem Krieg ist, mehr noch als in „klassischen Kriegen“, Glaubwürdigkeit eine harte Währung. STEFAN REINECKE