Die Zahl der Opfer steigt

In Afghanistan werden bei den bisher schwersten Bombenangriffen laut AIP 130 Zivilisten getötet.In Pakistan führen Gerüchte und unwahrscheinliche Dementis zu neuen Spannungen

von BERNARD IMHASLY

Die Intensivierung der Zahl und Dichte der amerikanischen und britischen Luftangriffe in der Nacht zu gestern scheint auch die Zahl der zivilen Opfer in die Höhe zu schrauben. Falls die Angaben der beiden einzigen internationalen Medien stimmen, die noch im Taliban-beherrschten Afghanistan vertreten sind – die Afghan Islamic Press (AIP) aus Peschawar und der Fernsehkanal al-Dschasira aus Katar –, dann sind seit Beginn der Luftangriffe auf Afghanistan rund 200 Zivilisten ums Leben gekommen. Allein gestern wurden laut AIP 130 Zivilisten getötet. Von unabhängiger Seite überprüfen lassen sich diese Angaben nicht.

Die Hälfte der Opfer sollen Bewohner des Dorfes Kurram, 40 Kilometer außerhalb der ostafghanischen Stadt Dschalalabad, sein. Es wurde von den angreifenden Jets offenbar fälschlicherweise für ein Ausbildungslager gehalten und laut AIP zerstört. In der südlichen Taliban-Hochburg Kandahar sollen in der Angriffswelle der vierten Nacht laut AIP 28 und in Kabul zehn Personen umgekommen sein. In Kandahar seien 30 Personen verletzt worden. Al-Dschasira berichtete, in der Umgebung Dschalalabads sei eine Moschee von einer Bombe getroffen worden. In Islamabad behauptete die Taliban-Botschaft, die meisten Marschflugkörper hätten ihre Ziele verfehlt und seien gegen Berghänge geprallt. Eines der Geschosse habe eine Elendssiedlung in der Nähe des Flughafens getroffen. In Pakistan nahm nach zwei Tagen relativer Ruhe mit weitgehend kleinen und geordneten Demonstrationen die Spannung vor dem heutigen Freitag mit seinen großen religiösen Versammlungen wieder zu. Genährt wird die Anspannung durch Gerüchte, unbestätigte Meldungen und allerlei Dementis.

Die Tageszeitung Dawn berichtete, in mehreren Flughäfen des Landes sei US-Militärpersonal gesichtet worden. Dies würde den offiziellen Verlautbarungen widersprechen, in denen immer wieder betont wurde, dass sich die Kooperation Pakistans auf die Freigabe des Luftraums und logistische Unterstützung beschränke. Doch der Bericht wurde nicht dementiert. Vielmehr bestätigte später ein Regierungsmitglied der Nachrichtenagentur AFP, dass Pakistan den USA zwei Flughäfen im Süden des Landes zur Verfügung gestellt habe. Diese dürften allerdings nicht für militärische Aktionen genutzt werden. Das Verhalten der Regierung vertieft das ohnehin tiefe Misstrauen, das breite Bevölkerungsschichten den USA entgegenbringen.

Für den Brand im Armee-Hauptquartier in Rawalpindi am Mittwochmorgen gab es zwar eine offizielle Erklärung – Funkenflug aus einem in der Nähe brennenden Papierlager. Doch diese Erklärung fand nur wenige Abnehmer, umso mehr als der Brand nur zwei Tage nach der Entfernung von drei hochrangigen Generälen kam, die als Taliban-freundlich galten. In der Volksmeinung war es Brandstiftung mit dem Zweck, belastende Dokumente von der Zusammenarbeit mit den Taliban verschwinden zu lassen.