regierungserklärung
: Die Öffentlichkeit für dumm verkauft

Haben Bundestagsabgeordnete keinen Fernseher? Hören Minister niemals Radio? Waren die Volksvertreter in den letzten vier Tagen hermetisch von der Außenwelt abgeschnitten? Es muss so sein. Anders lässt sich die Art und Weise nicht erklären, in der das Parlament gestern über die Regierungserklärung von Kanzler Schröder zum Kampf gegen den Terrorismus debattierte. Es nahm die aktuelle Entwicklung einfach nicht zur Kenntnis.

Kommentarvon BETTINA GAUS

Ob die Großangriffe auf Afghanistan, die auch zivile Opfer gefordert und falsche Ziele getroffen haben, dem entsprechen, was die Bundesregierung in letzter Zeit mit der viel gerühmten Besonnenheit der US-Regierung gemeint hat: Wir wissen es nicht. Ob die Unruhen in Pakistan und anderen islamischen Ländern als vorhersehbares, unvermeidliches Übel im Kampf gegen den Terror betrachtet werden oder ob sie Anlass zur Sorge liefern: Wir wissen es nicht. Ob Parlament und Regierung tatsächlich glauben, dass Ussama Bin Laden auf dem jetzt eingeschlagenen Weg dingfest gemacht werden kann oder ob allein die Entmachtung der Taliban bereits als hinreichendes Kriegsziel gilt: Wir wissen es nicht. Es ist uns darüber nichts mitgeteilt worden.

Wer das Vorgehen in Afghanistan für richtig hält, kann darauf hinweisen, dass Rom auch nicht an einem Tag zerstört worden ist, dass kein Krieg jemals unblutig verläuft und niemand je behauptet hat, der Kampf gegen den Terror werde keine Opfer fordern. Darüber lässt sich dann streiten. Aber was besagt es, wenn im Parlament die Fragen gar nicht erst angesprochen werden, die derzeit die öffentliche Diskussion beherrschen? Vielleicht zeugt es von geringem Vertrauen in die Kraft der eigenen Argumente. Aber vielleicht besteht auch einfach die Hoffnung, die Öffentlichkeit werde es schon nicht merken, wenn sie für dumm verkauft wird.

Dieser Verdacht wird genährt durch das vielstimmige Lob für den Abwurf von Lebensmittelpaketen über Afghanistan, das angesichts der Warnungen von Fachleuten nur als dreist zu bezeichnen ist. Nach Ansicht von Hilfsorganisationen bedeutet die Aktion in dem verminten Land eine zusätzliche Gefahr für die Bevölkerung. Nützen können die Rationen, die jeweils nur den Tagesbedarf einer Person decken, in einer Hungerregion ohnehin nichts. Dennoch haben sich deutsche Politiker gestern selbst in dieser Frage für Vasallentreue entschieden. Das liefert einen Hinweis darauf, wie ihre anderen Stellungnahmen zum Krieg einzuschätzen sind.