Der Koloss von Gröpelingen

■ Können Bremer bald mondän zwischen Kaffeebohnen wohnen? Oder wird die Getreideverkehrsanlage irgendwann einfach abgerissen?

Der Wind pfeift wütend durch die Gröpelinger Hafenbecken, einsam ragt zwischen Baustellen und Wasser ein riesiges Gebäude in den Himmel. Die Getreideverkehrsanlage, ein Symbol der Industriegesellschaft – immerhin hat sie die größte Backsteinmauer nördlich der Alpen. Früher ein lebhafter Umschlagplatz für Getreide, an dem hunderte Arbeiter Tag und Nacht Schiffe, Bahnwaggons und Lastwagen auf- oder abluden.

Auf einer Fläche von 75.000 Quadratmetern werkeln hier heute gerade 25 Mitarbeiter, verteilt auf zwei Schichten. Silo eins wird gar nicht mehr genutzt, in den beiden anderen Silos und sechs Lagerhallen werden Getreide, Kaffee und Stückgut langfristig gelagert, kaum ein Schiff kommt mehr hier an.

Kann dieser erstarrte Koloss wieder zu neuem Leben erwachen? Werden in den riesigen Hallen mit den dicken achteckigen Säulen, in denen heute endlos lange, staubbedeckte Fließbänder stehen, eines Tages Menschen wohnen, arbeiten, einkaufen? Wird vielleicht irgendwer, irgendwann hoch oben auf der Terrasse sitzen, Grillparties feiern und den Ausblick über den Hafen, den benachbarten Spacepark und den Stadtteil Gröpelingen genießen, wo heute nur ab und zu ein Arbeiter oder ein paar Teilnehmer einer Führung vorbeischauen?

Während Hamburg mit einem Masterplan vormacht, wie alte Hafengebiete zu urbanen Wohn- und Geschäftsgegenden gemacht werden und gleichzeitig alte Monumente erhalten werden können, sieht es für die Bremer Anlage noch nicht so konkret aus. Es gibt zwar zahlreiche Ansätze und Ideen, wie man die Getreideverkehrsanlage kreativ umgestalten könnte, genauere Pläne liegen aber bisher nicht vor.

Die Köllmann AG, die die Projektentwicklung des benachbarten Spacepark betreibt, hat ein Nutzungsgutachten in Auftrag gegeben, in dem die architektonischen und wirtschaftlichen Perspektiven für das Gebäude untersucht werden sollen. Wolfgang Kiesel von der Köllmann-AG, die auch eine dreijährige Kaufoption auf die Getreideverkehrsanlage hat, bestreitet aber jegliches Interesse am benachbarten Industriebauwerk.

„Das Nutzungsgutachten steht in keiner Verbindung zu der Kaufoption“, beteuert er, vielmehr habe der Senat für Wirtschaft, Besitzer der Getreideanlage, dieses Gutachten gefordert. Er selbst glaubt nicht an die Umnutzungspläne, rein finanziell gesehen sei sogar ein Abriss für 35 Millionen Mark sinnvoller als eine Restaurierung oder Umgestaltung, die auf alle Fälle Kosten in dreistelliger Millionenhöhe verursachen würde, erläutert er. Aus seiner Sicht könne der derzeitige Pächter Dieter Wandel ruhig weiterhin Getreide in den Silos lagern, „das kommt übers Wasser und geht übers Wasser und stört uns hier herzlich wenig“, erlärt Kiesel.

Wandel hingegen hat Angst vor dem, was passiert, wenn zum Jahresende sein Pachtvertrag ausläuft. Er hofft darauf, ihn verlängern zu können, da das Lagern von Getreide für ihn profitabel ist. Bereits seit etwa einem Jahr lebt er jedoch mit der Unsicherheit, ob und was geschehen wird. Der Pächter bezweifelt, dass das Gebäude überhaupt umgebaut werden kann. „Die durchgehende Stahlbetonkonstruktion und das Alter der Anlage würden ein solches Unterfangen äußerst schwierig und teuer machen“, meint er.

Und so steht das Thema Getreideverkehrsanlage weiter in der Schwebe. Keiner der Beteiligten will so recht verantwortlich sein für das, was weiter passieren soll in den Gröpelinger Häfen. Während die Hamburger sich auf ihre „Hafencity“ freuen, die Stadt direkt am Wasser, steht die alte Getreideanlage weiter einsam da, neben ihrem modernen Nachbarn, dem Spacepark, und blickt einer unsicheren Zukunft entgegen. Drinnen ist es so leer und trist wie draußen.

Im stillgelegten Silo eins klettern ein paar Mäuse über alte Kabel, kleine Käfer und Motten krabbeln durch den Staub, und alle paar Wochen kommt eine kleine Gruppe Bremer, steht staunend in den riesigen Hallen, schaut von ganz oben durch ein Silo auf das winzige Loch tief unten, durch das die Arbeiter früher einmal mit einem langen, schweren Bambusstock in die endlosen Getreidemassen stocherten, um sie herauszubekommen.

Dann lässt Wolfgang Saloga, der viele Jahre hier gearbeitet hat, noch einmal im obersten Stockwerk ein Fließband anlaufen, führt vor und erzählt, wie ein Arbeiter in dem riesigen Raum allein dafür sorgen musste, dass acht ununterbrochen laufende Bänder Getreide in die richtigen Silos füllten, wie er herunterrannte, ein Stockwerk tiefer, um rechtzeitig zu merken, wenn ein Silo voll wurde, immer die Angst im Nacken, zu spät wieder oben zu sein, in seinem einsamen, staubigen Reich.

Vivien Mast

Am 25. Oktober finden jeweils um 15 und 17 Uhr Führungen durch die Getreideverkehrsanlage statt, Informationen und Karten sind erhältlich bei „Kultur vor Ort“ in der Liegnitzstr.63 oder unter der Telefonnummer 0421 – 6197727.