Günter im Glück

Ein mildes Lächeln genügt Günter Rexrodt. So gut läuft es für die FDP und ihren Spitzenkandidaten im Berliner Wahlkampf. Bislang jedenfalls

Im antiken Rom galt Fortune als eine persönliche Tugend des Feldherrn Das zentrale FDP-Argument: Wählt uns, um die Dunkelroten rauszuhalten

von ROBIN ALEXANDER

Wir wollen es Günter Rexrodt nicht zu leicht machen. Beobachten wir den Spitzenkandidaten der Berliner FDP also nicht bei einem Heimspiel vor einem Unternehmerclub oder in Berlin-Wilmersdorf. Begleiten wir ihn stattdessen nach Marzahn. Das sei unfair, meinen Sie? Hier im tiefsten Ostberliner Plattenbau könne ein Liberaler nicht gut ankommen, meinen Sie? Hier, wo die Alten noch wissen, was sozialistische Menschengemeinschaft war, und viele Junge von der deutschen Volksgemeinschaft reden, hier soll die FDP-Botschaft vom „Individuum über alles“ Beifall finden? Immerhin einhundert Wähler aus dem Bezirk mit Deutschlands sichersten PDS-Direktmandaten sind an diesem dunklen Oktoberabend aus ihren elfgeschossigen Betontürmen hinab ins Forum Marzahn gestiegen. Ein Mitarbeiter der FDP-Bundestagsfraktion blickt fassungslos in den viereckigen Saal: „Wir sind im Osten. Und es kommen Leute. Unglaublich.“

Dieser erfahrene Parteimann, der „politisch schon alles gesehen hat“, wird auch im weiteren Verlauf dieses Abends kaum aus dem Staunen herauskommen. Gegen Ende wird er sagen, er habe Rexrodt schon als Bundeswirtschaftsminister erlebt, wie der gute und schlechte Zeiten meisterte. Mehr schlechte, meinen viele, was Rexrodt unfair findet. Aber: „So locker wie heute habe ich den Rexrodt noch nie gesehen.“

Viele wollen in diesen Tagen beim FDP-Spitzenkandidaten Lockerheit beobachtet haben. Doch der Begriff stimmt nicht wirklich. Auf die leichte Schulter nehmen weder Rexrodt noch seine Partei diese Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus, die von Westerwelle und Co. als ein entscheidender Schritt auf dem Weg zur Wiedereroberung des angestammten Platzes als Juniorpartner in der Bundesregierung gesehen wird. Der Kandidat arbeitet hart im Wahlkampf und auch die unernst wirkende Kampagne um die Zahl 18 ist wohlkalkuliert. Locker also nicht. Souverän trifft es vielleicht besser. Selbstbewusst. Rexrodt wirkt wie einer, der auf sein Glück vertraut.

Im antiken Rom galt Fortüne in der Schlacht als eine persönliche Tugend des Feldherrn. Die Berliner FDP, einst als chaotischster Landesverband der ganzen Republik verschrien und 1999 mit nur 2,2 Prozent gedemütigt, muss, seit Rexrodt den Landesvorsitz übernahm, aus irgendeinem unerfindlichen Grund von den Göttern geliebt werden. Anders ist so viel Glück gar nicht mehr zu erklären.

„Wild gewordene Wellensittiche“ belächelt Rexrodt heute milde die innerparteilichen Gegner, die seine Vorgänger noch in Kampfabstimmungen zwangen. Ganze Bezirksorganisationen nannten sich in Berlin „nationalliberal“, planten eine Haiderisierung der Partei und konnten nur in verlustreichen Grabenkämpfen in Schach gehalten werden. Rexrodt lächelte nur milde, als die kontraproduktiven Strukturen durch die Berliner Bezirksreform und durch Eintritte von Bonner Zuzüglern wie von selbst zusammenbrachen. Ein lebensbedrohlicher Bundestrend bescherte den Liberalen eine Niederlage nach der anderen. Rexrodt lächelte nur milde, als sich diese Tendenz nach dem spektakulären Erfolg der FDP in NRW vor einem Jahr in einen gesamtdeutschen Rückenwind verkehrte.

Die Berliner CDU – jahrelang fest im Sattel und nicht auf eine FDP angewiesen – ließ sich im Frühjahr plötzlich von einem gewissen Klaus Wowereit, SPD, aus Amt und Würden jagen. Zur politischen Eskalation der Krise der Berliner Bankgesellschaft hat die FDP nichts beigetragen. Rexrodt lächelte milde überrascht, als sie in den Umfragewerten dennoch innerhalb eines Monats um 5 Prozentpunkte stieg. Wider alle Erwartung und Vernunft entschied sich die CDU für einen erst 35-jährigen Spitzenkandidaten. Rexrodt lächelte milde: Neben dem stets vorlaut wirkenden Frank Steffel personifiziert er plötzlich nicht mehr das Altenteil, sondern Erfahrung und Kompetenz. Bürgermeister Wowereit paktiert mit der PDS, erklärt aber, so richtig möchte er das gar nicht. Und liefert damit das zentrale FDP-Argument frei Haus: Wählt uns, um die Dunkelroten rauszuhalten. Da lächelte Rexrodt schon beinahe grimmig. Mittlerweile wird die FDP in Umfragen bei 10 Prozent gehandelt und ist sicher im nächsten Abgeordnetenhaus vertreten. Und Rexrodts Fortüne will kein Ende nehmen.

Zwar ist auch ihm, der zwei Jahre für die Citi Bank in New York arbeitete, im Angesicht von Terror und Vergeltungs-Flugkörpern das Lächeln vergangen. Auch die deutsche Innenpolitik rotiert seit dem 11. September: Plötzlich sind die Friedenspartei PDS und die Nato-SPD wieder ganz fern von Rot-Rot und Rexrodt steht mit einem Bein in der Ampelkoalition. Ein spätes Glückskind also, dieser hochgewachsene, breitschultrige Mann, der vor wenigen Wochen seinen sechzigsten Geburtstag feierte? Im persönlichen Gespräch entschuldigt er sich fast für seinen Dusel: „Oft hat die FDP ungerecht viel Pech gehabt. Jetzt haben wir eben mal Glück.“ So still, ja beinahe dankbar, geht das natürlich nicht öffentlich. Seinen Parteifreunden aus den Plattenbauten ruft er an diesem Abend entgegen: „Das sprichwörtliche Glück des Tüchtigen gibt es eben wirklich.“

Eines ist wahr: Zumindest steht Rexrodt seinem Glück nicht im Wege. Obwohl er der erfahrenste unter den Kandidaten ist, hat er nicht den Instinkt für die vermeintlich kleinen Gelegenheiten verloren. Etwa Ende Mai bei der Initiative für Neuwahlen. In diesem Augenblick musste die FDP dabei sein, um auch ohne Abgeordnete im Parlament als politische Kraft ernst genommen zu werden. Gregor Gysi nennt diese Szene „einen der wenigen wirklich komischen Momente in diesem Wahlkampf“, als sich Rexrodt, der Inhaber von acht Aufsichtsratsmandaten, im blauen Business-Anzug als außerparlamentarische Opposition zwischen Alternative und Exkommunisten zwängte und Unterschriften zum Sturz des Senats sammelte. Aber wer zuletzt lacht, lacht am besten: Seitdem ist Rexrodt in jeder Talkrunde gleichberechtigt dabei, die Stadt hat vergessen, dass es seine Partei noch vor Monaten in Berlin kaum gab. Mit den Grünen hat Rexrodts FDP in Umfragen schon lange gleichgezogen, auch die in Ostberlin bislang allmächtige PDS scheint gar nicht mehr so weit entfernt.

„Ich sage euch: Am Ende werden wir stärker als die PDS werden!“, ruft er in Marzahn. Das ist natürlich Humbug, und das wissen auch die Zuhörer. Und freuen sich trotzdem. Rexrodt, dessen bloßes Auftreten ihn in der DDR schon als Bourgeois enttarnt hätte, hat erstaunlich viel von Ostberlin verstanden: Der Murks allenthalben hat die Leute hier am Sozialismus gestört, nicht die Mauer und die fehlende Meinungsfreiheit für Sänger und Literaten. Die Systemfrage ist längst entschieden. Aber der pietätvolle Umgang mit den Menschen des verstorbenen Systems kann Stimmen bringen. „Niemand lässt sich gerne sagen, er habe ein unnützes Leben geführt.“ Fleiß und Leistung habe es auch in der DDR gegeben. „Dass dies immer noch in Frage gestellt wird, ist unhöflich und anmaßend!“ Lauter wird Marzahn an diesem Abend nicht klatschen.

Ein gutes Wort für jeden hat der neue Rexrodt. Das war nicht immer so, berichten ältere Journalisten. In seiner Zeit als Wirtschaftsminister habe Rexrodt sehr gut in eine FDP gepasst, die sich zur „Partei der Besserverdienenden“ erklärte. Ihm, der schon durch die Länge seines Körpers genötigt wird, auf seine Gesprächspartner herabzuschauen, seien Hochmut und Überheblichkeit beileibe nicht fremd gewesen. Heute dagegen wirkt er milde. Nachsichtig. Jovial. Er drückt ehrlich gemeintes Verständnis aus für Leute, die weder wohlhabend noch jung und leistungsfähig sind. Dass er ihre Interessen wahrnimmt, heißt das übrigens noch lange nicht.

Setzt sich einer, der mal Bundesminister war, tatsächlich in das provinzielle Gremium Senat? Er würde es machen, aber es drängt ihn nicht. Das macht seine Verhandlungsposition stark, gerade gegenüber dem anderen kleinen Partner in einer Ampel, den Grünen, deren führende Leute persönlich und politisch alles Heil in einer Senatsbeteiligung sehen. Der Regierende Bürgermeister Wowereit, ein Sozialdemokrat, für den ein ausgeglichener Haushalt einen Selbstzweck darstellt, hätte zumindest in Finanzfragen einen verlässlichen Partner in Rexrodt.

So weit eine fröhliche Geschichte von einem glücklichen Kandidaten und einer Partei im Aufwind. Eine zu fröhliche Geschichte vielleicht. Die ersten Journalisten beginnen schon, Rexrodt nicht mehr nur nach dem Geheimnis des Aufschwungs der FDP zu fragen, sondern nach der Substanz der Partei: Was ist Fortschritt wirklich für eine Partei, die Mobilität in Metropolen mit Beton und Straßen schaffen will? Was ist Freiheit für eine Partei, deren größtes Problem mit der PDS deren Vorbehalte zum Eigentum sind? Was sind Bürgerrechte einer Partei wirklich wert, die in Hamburg Rechtspopulisten zu Innensenatoren macht? Wir sollten es Günter Rexrodt nicht zu leicht machen.