Mit Widerspruchsgeist an die Spitze

Auf Vereinssuche war für National-Torfrau Nadine Angerer Turbine Potsdam erste Adresse. Trainer Bernd Schröder setzt dort auf harte Hand wie eigenwillige Fußballerinnen – mit Erfolg: Turbine liegt in der Bundesliga vorn

Der Ortswechsel tat weh. Wegen der Milchsäure, die sich in den Oberschenkeln von Nadine Angerer gebildet hatte und für die typischen Symptome des Muskelkaters sorgte. „Das war ein Schock für meinen Körper“, sagt sie. „Ich bin die Treppe kaum noch hochgekommen und das Gaspedal im Auto habe ich auch nicht mehr richtig drücken können.“

Nadine Angerer wechselte vor der Saison von Bayern München zu Turbine Potsdam. Sie ist Torhüterin. In ihrem neuen Verein wird viel mehr trainiert, stellte sie fest. Bei den Bayern wurde in der Vorbereitung nur drei Mal in der Woche geübt, in Potsdam standen manchmal 15 Einheiten an. „Ich bin so fit wie noch nie“, sagt Angerer, die mit 22 Jahren die drittälteste Spielerin des Vereins ist. Sie staunte über die Möglichkeiten, die sich plötzlich auftaten. Nicht nur einen Kraftraum gab es auf einmal, sondern sogar eine Gegenstromanlage, in der sonst nur Schwimmer kraulen. „Ich war da noch nicht drin“, sagt sie entschuldigend. „Aber es ist gut zu wissen, dass so ein Ding hier im Olympiastützpunkt vorhanden ist.“

Die Verschärfung der Übungseinheiten spürte Angerer auch auf dem Weg zu ihrer Wohnung. Die liegt im vierten Stock ohne Lift, in Berlin mit Blick auf die Siegessäule. Kein schlechtes Symbol für die Leistung der Mannschaft. Turbine Potsdam steht in der Bundesliga auf Platz eins. Angerer hat bislang nur drei Tore kassiert. Der Vizemeister der vergangenen Saison ist auf dem Weg an die Spitze des deutschen Frauenfußballs. Und Nadine Angerer wollte dabei sein. Für sie war der Vereinswechsel ein klare Karriereoption. Die zweite Torfrau der Nationalmannschaft sagt, nur ein Angebot aus der US-amerikanischen Profiliga Wusa hätte noch mehr Reiz gehabt. Selbst der deutsche Meister, der 1. FFC Frankfurt, stelle keine Verlockung dar. „Das ist keine Herausforderung für mich“, sagt die taz-Leserin. „Das ist nur ein mit Geld zusammengewürfelter, gekaufter Haufen.“

Die Beine waren anfangs schwer, die Gedanken dafür umso leichter. Endlich habe sie München verlassen können, diese „Schickimicki-Stadt“, in der vieles „konservativ und spießig“ war. Nun trifft sie meist auf „lockere Leute“. Das heißt – in Berlin. In Potsdam kenne sie nur den Sportplatz des Olympiastützpunktes „Am Luftschiffhafen“.

Auf dem steht Bernd Schröder und philosophiert über die Rolle des Frauenfußballs im Allgemeinen und den Imagegewinn seines Klubs im Speziellen. Nur Angerer schafft es, den Monolog des Trainers zu unterbrechen. Auf dem Fahrrad kommt sie an und berichtet dem „Chef“, ihre zuvor im Training erlittene Verletzung sei halb so schlimm. Ein kleiner Bluterguss im Oberschenkel. Der Arzt habe sie gespritzt, aber sie sei beim Spiel gegen Brauweiler-Pulheim auf alle Fälle wieder dabei. Diese Begegnung endete gestern 1:0 und festigte den Spitzenplatz von Turbine. Der Schröder sei „ein Klassetyp“, sagt sie. „Streng und sehr diszipliniert“, aber auch „gutmütig und ehrlich“.

Bernd Schröder übernimmt viele Rollen im Verein. Der 59-Jährige ist Herbergsvater, Chefcoach, Sportdirektor, Patriarch, der auf seine „Absolutherrschaft“ vertraut – und auch Konfliktmanager. „Man muss in eine Mannschaft Dissonanzen reinbringen, sonst wird nichts draus“, behauptet er und streut deshalb mit erregten Ansprachen Sand ins Scharnier zwischen sich und seine Schützlinge. „Es ist ein sozialistisches Prinzip, dass Widersprüche die Entwicklung vorantreiben.“

Die Spielerinnen haben sich darauf verständigt, seine gelegentlichen Ausbrüche, die stets in die Lobpreisung preußischer Tugenden („Ordnung, Disziplin, Pünktlichkeit, erzieherischer Ethos“) münden, nicht mehr ganz so ernst zu nehmen. Sie brauchen hierbei nur Anschauungsunterricht bei Schröder selbst zu nehmen, der, nachdem er die Zitatmaschine auf Hochtouren gebracht hat, zu der Erkenntnis kommt: „Andere argumentieren noch viel unsachlicher als ich, ich versuche allmählich die Kurve zu kriegen.“

Schröder weiß, dass er nicht mehr wie vor 20 Jahren trainieren kann, als die Spielerinnen „ihren Willen zur Unterordnung“ dadurch hätten unterstreichen sollen, indem sie auf Geheiß des Trainers „vom Zehnmeterturm in ein Becken ohne Wasser springen“. Auch das Böse wähnt er immer weniger in den Büros des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) oder auf den Bänken des 1. FFC Frankfurt („Ich gönn ihnen den Erfolg“). Er räumt sogar ein, dass dem Ostfußball nach Jahren der „Ausgrenzung“ nun ein paar Sympathien von westlicher Seite zuflögen.

Die Wertschätzung des Potsdamer Frauenfußballs dürfte weiterhin steigen. Denn das Prinzip der Jugendförderung ist beispielhaft und ohne Schröder gäbe es im Speckgürtel Berlins keine fetten Fußballjahre. Seit 30 Jahren arbeitet er für den Verein unentgeltlich, obgleich seine Anstrengungen „an die 7.000 Mark netto“ wert seien. Aber das sei egal. Er befinde sich nun mal auf einer Mission, fühle sich gelegentlich „wie in Afrika“ und gehe überdies einen Weg ohne Abzweig. „Der Grad der Verantwortung und der Verpflichtung ist so hoch, dass ich aus der Sache zu Lebzeiten nicht mehr rauskomme“, sagt Schröder, früher als Abteilungsleiter eines Energieunternehmens tätig.

Nadine Angerer zieht es hingegen zum Film. Vor zwei Jahren legte sie ihr Abitur ab, begann eine Ausbildung als Kamerafrau. In der TV-Serie „Marienhof“ spielte sie eine kleinere Rolle, ganz im Gegensatz zu ihrem Verein, in dem sie nicht nur den Ton angibt, sondern „ständig dazulernt“. In einer Sportzeitschrift bezeichnete Angerer sich einmal als „ziemlich disziplinlos und trainingsfaul“. Solche Charakterschwächen kann sie sich als Spielerin von Turbine Potsdam nicht mehr leisten. MARKUS VÖLKER