Ungebildete Politik

Rechtsblock will Hamburg sicherer machen. Die taz prüft. Heute: Schulpolitik  ■ Von Sandra Wilsdorf

Die neue Koalition ist angetreten, die Stadt sicherer zu machen. Doch sich sicher zu wähnen heisst nicht allein die Gewissheit zu haben, dass einem in der U-Bahn nicht die Handtasche entrissen wird. Als sicher kann sich nur ein Gemeinwesen titulieren, auf dessen Strassen man als Fußgänger und Radfahrer nicht um sein Leben bangen muss, in dem man keine Angst vor Arbeitslosigkeit, sozialem Abstieg, verweigerten Bildungschancen oder mangelnder Gesundheitsversorgung haben muss. Die taz prüft in loser Reihe, inwieweit die bisher ausgehandelten Koalitionsvereinbarungen die Stadt Hamburg tatsächlich sicher machen.

Bei der Schulpolitik ist das angekündigte Mehr in Wirklichkeit ein Weniger. Beispielsweise weil es das Abitur mit CDU, Schill und FDP schon nach zwölf Jahren geben soll. Professor Matthias von Saldern vom Fachbereich Erziehungswissenschaften an der Universität Lüneburg hält das so oder so für Bildungsabbau: Entweder, weil ein komplettes Unterrichtsjahr mit 500 Schulstunden wegfällt. Oder aber, weil diese Stunden mit längeren Schultagen aufgefangen werden. „Im Saarland führt die Verkürzung zu etwa acht Schulstunden am Tag. Das schaffen nur die Guten.“ Entscheidet man sich gegen diese Selektion, „gibt man zwangsläufig weniger Fachunterricht, und das ist ebenfalls Bildungsabbau“, sagt von Saldern.

Wenn überhaupt, mache nur eine Schulzeitverkürzung auf zwölfeinhalb Jahre Sinn: „Denn in den letzten drei Monaten des 13. Schuljahres ist sehr viel Leerlauf.“ Der Wissenschaftler ist auch deshalb „gegen die technokratische Verkürzung auf zwölf Jahre“, weil er fürchtet, dass Betriebe und Hochschulen das entgangene Wissen nachschieben müssen.

Im Saarland habe die Schulzeitverkürzung dazu geführt, dass mehr Eltern ihre Kinder auf Gesamtschulen anmelden. Denn weil dort Jugendliche zusammen kommen, die Haupt- bzw. Realschule abschließen oder Abitur machen wollen, kann der Stoff des eingesparten Jahres erst dann unterrichtet werden, wenn die Abiturienten ab der elften Klasse unter sich sind. Das aber würde den Stoff von drei Jahren in zweien bedeuten. Unmöglich, weshalb Gesamtschulen bei 13 Jahren bleiben müssen. Genau das gefällt vielen saarländischen Eltern, „es war das Argument, den Jugendlichen mehr Zeit zu lassen.“

Die Gesamtschulen aber sind bei CDU, FDP und Schill wenig beliebt. Momentan erhalten sie die gleichen Schülerkostensätze wie Gymnasien, obwohl längst nicht alle Schüler bis zum Abitur bleiben. Künftig sollen ihre Gelder auf das Niveau von Haupt- und Realschulen gesenkt werden. Von Saldern hält die Geschichten der teuren Gesamtschulen für ein Märchen: „Langfristig sind sie wegen der geringeren Sozialkosten sogar billiger.“ Denn Schule habe die Aufgabe, Jugendliche aufs Leben vorzubereiten, „je besser ich das leiste, desto weniger wahrscheinlich ist, dass jemand hinterher ins soziale Netz fällt.“ Der Erziehungswissenschaftler glaubt, dass Gesamtschulen genau das besser leisten als andere Schulen, „weil sie innerhalb einer Lernbiographie viel häufiger umsteuern“. Denn während ein schlechter Gymnasiast ein frustrierter und am Ende vielleicht ein gescheiterter Gymnasiast ist, kann ein Gesamtschüler auf seiner Schule bleiben und wird nur von einem Kurs in einen anderen umgestuft, „deshalb sind Gesamtschulen leistungsorientierter als das dreigliedrige Schulsystem“. Welche Schulform wirklich am besten auf das Leben vorbereitet, könne man nur durch Längstschnittstudien herausfinden, die untersuchen, was aus den Absolventen nach Jahren und Jahrzehnten wird. Überhaupt findet von Saldern es sinnvoller, die finanzielle Ausstattung einer Schule nicht von ihrer Form, sondern von ihrer Gegend abhängig zu machen. Denn eine Realschule in einem sozialen Brennpunkt leistet möglicherweise eine höhere Integration als eine Gesamtschule in einem Edel-Stadtteil.

Professor von Saldern hält die neuen Prinzipien aber nicht nur für pädagogisch bedenklich, „auch volkswirtschaftlich zementieren wir damit unsere größte Schwachstelle, nämlich möglichst wenig Führungskräfte auszubilden“.