Eine kleine Novelle im Sparstrumpf

Schulsenator Böger (SPD) gelang es, den Bildungsnotstand etwas abzumildern. Ob er sich weiter der Bildung widmen will, ist offen. Wissenschaftssenatorin Goehler würde wohl weiter gordische Knoten entwirren. Ob das gewünscht wird, ist unklar

Die Unis dürfen weder zu Sparschweinen noch zu Unternehmen werden

von PHILIPP GESSLER
und ADRIENNE WOLTERSDORF

„Bildungsnotstand“ – dieses Schlagwort macht die Runde, wenn von der Situation der Schulen und Hochschulen der Hauptstadt die Rede ist: überfüllte Klassen und Seminare, marode Gebäude und mieses Niveau prägten die Bildungslandschaft Berlins, werfen Kritiker den Senatoren Klaus Böger (SPD) für die Schulen und Adrienne Goehler (parteilos) für die Unis vor. Ist die Kritik fair? Was müssen die beiden in der kommenden Legislaturperiode schultern?

Zunächst kann es nur besser werden: Kaum im Amt, wurde Böger auf einer großen Demo gegen die Bildungsmisere zum Buhmann der Eltern und Schüler: Stundenausfall, Lehrermangel, schmuddelige Schulen, zu viel Bürokratie – und dann entschied er auch noch, den Lehrern eine Stunde mehr pro Woche aufzubrummen. Doch der Senator packte an: Er legte ein Sanierungsprogramm für die Schulen und Sportstätten von 100 Millionen Mark pro Jahr auf – es soll auch in der kommenden Wahlperiode weitergeführt werden. Seit Bögers Amtsantritt wurden über 2.000 neue Lehrer eingestellt (derzeit unterrichten 33.000 Pädagogen etwa 350.000 Schüler auf über 9.000 Schulen). Dadurch konnte der Unterrichtsausfall, der nach den Berechnungen der Schulverwaltung zuvor noch bei etwa 5 Prozent lag, auf rund 3 Prozent gesenkt werden. Durchschnittlich haben die Klassen in Berlin eine Stärke von 27 Schülern, was bundesweit ordentlich ist – allerdings liegt diese Quote in Gymnasien bei 32.

Die Schwerpunkte der nächsten Legislaturperiode sollen nach Auskunft seiner Verwaltung zum einen darin liegen, die Qualität der Schulen zu verbessern: Nach dem Entwurf des Schulgesetzes, das verabschiedet werden soll, würden Qualitätsstandards an die Schulen gesetzt, mit deren Hilfe sich die Bildungseinrichtungen selber überprüfen könnten. Die Schulen sollen mehr Eigenverantwortung erhalten – schon jetzt können acht von ihnen in einem Modellversuch über ein Personalkostenbudget verfügen.

Böger will mehr Ganztagsschulen einrichten: Schon derzeit bietet ein Drittel der Berliner Schulen eine Betreuung am Nachmittag an. Außerdem soll nach DDR-Vorbild die Schulzeit von 13 auf 12 Jahre verkürzt werden. Dennoch will es der Senator bei 6 Jahren Grundschule belassen. Bleibt die Frage des Werteunterrichts an den Schulen: Der Druck auf Böger hat hier zugenommen – nicht zuletzt wegen des Debakels um die Islamische Föderation, die nun gegen den Willen der Schulverwaltung Religionsunterricht erteilen kann. Während seine Partei einem LER-ähnlichen Unterricht nach dem Vorbild Brandenburgs zuneigt, drängen vor allem die Kirchen, aber auch viele Eltern auf ein Wahlpflichtfach Religion. Ob es in der kommenden Wahlperiode hier zu einer Lösung kommt, ist davon abhängig, mit wem die SPD koalieren wird: Sollte es allein die PDS sein, wird es wohl bei der bisherigen Lösung bleiben, die keinerlei verbindliches Wertefach vorsieht. Denn die Sozialisten wollen höchstens die Sozialkunde so ausweiten, dass darin das Thema Religion Platz erhielte. Bei einer Ampelkoalition wäre die FDP für ein Wahlpflichtfach Religion, die Grünen bevorzugen ein LER-Modell: Dann müssten Berliner Schüler nach 50 Jahren wieder ein Wertefach besuchen.

Noch unübersichtlicher ist die Lage bei der Wissenschaftspolitik. Es gibt Vorschläge, die Senatsverwaltung für Wissenschaft, Forschung und Kultur der Unterabteilung Wissenschaft zu entledigen. Die solle dann der Senatsverwaltung für Wirtschaft zugeschlagen werden. Sicher ist, dass Senatorin Goehler das Ressort nicht mehr hergeben will. Die neue Senatsverwaltung, egal ob rot oder grün, erwartet nichts Geringeres, als die Wissenschaftslandschaft in und um Berlin grundsätzlich neu zu beleben. Dabei ist jede Politik, die die Universitäten nicht als Sparpotenziale oder straff unternehmerisch geführte Betriebe betrachtet, willkommen. Wer junge, talentierte Köpfe nach Berlin lotsen will, die Forschung fördern und einer großen Fachhochschule den lang erwünschten zentralen Campus finanzieren möchte, der kann sich mittelfristig kaum mit Renommierergebnisen schmücken, sondern muss um Geld, Ausstattung und Grundstücke verhandeln. Der grüne Wissenschafts-Staatsekretär, sprich Koordinator, Bernd Köppl (Grüne), hat Visionen einer grünen Novellierung des Hochschulgesetzes. Eine kleine Novelle ist seinem Ressort schon gelungen: Die Studentenausschüsse erhalten nun das Recht, sich unmittelbar über Studentenbelange hinaus zu äußern.

Die Berliner Wissenschaft, einst Nobelpreis-dekoriert, droht nach einer kurzen Phase des Aufbruchs kurz nach der Wende wieder in den durch finanzielle Kahlschläge provozierten Dämmerzustand zurückzufallen. Studien und Gutachten warnen. Berlins einzige Chance, neue Arbeitsplätze zu schaffen, läge im Bereich der Forschung. Daher brauche die Wissenschaft in der Stadt „hohe Klasse und eine gewisse Masse“. Umso tragischer, dass der von der großen Koalition zum Jahresbeginn gestartete Finanzfonds zur Farce geriet.

Als „Zukunftsfonds“ gestartet – als Sparstrumpf angekommen. Denn von den 250 Millionen Mark, die das Land Berlin vertraglich zugesichert hatte und die es in den nächsten fünf Jahren auszahlen wollte, bleiben nur noch 20 Millionen übrig. Der große Rest wurde vom Senat in andere Haushaltslöcher gestopft. Eine zukünftige Senatsverwaltung hat hier die Aufgabe, Wissenschaftlern und Unternehmern wieder ein positives Signal zu geben. Auch als Zeichen an den Bund, dass die bankrotte Hauptstadt sich ideenreich und ohne fremde Mittel um Wege aus der Misere bemüht.

Und das Personal: Gestern kursierten Gerüchte, Böger könnte nach der Wahl das Innenressort übernehmen, was aber nicht sehr wahrscheinlich ist, da dann der gut gestartete derzeitige Innensenator Erhardt Körting (SPD) verdrängt werden müsste und Böger zumindest nach Auskunft seiner Verwaltung bei seinem Thema bleiben will, das für ihn die Zukunftsaufgabe schlechthin sei. Senatorin Goehler hat in kürzester Zeit bewiesen, dass sie keine Angst vor gordischen Knoten hat und den einen (Hochschulverträge) oder anderen (Semesterticket) zu entwirren versteht. Fraglich jedoch ist, ob die Parteilose bei einer Ampelkoalition den Grünen so wichtig ist, dass sie ihr zuliebe darauf verzichten, einen Senatsposten mit einem Parteimitglied zu besetzen. Und wenn es zu einem rot-roten Senat kommt, ist sie sowieso draußen.