Noch fliegt nur raus, wer schimpft

Existenz bedroht: Der Deutsch-Türkische Kinder- und Mädchentreff in Kreuzberg leistet Präventionsarbeit

Vor dem Eckladen in der Friesenstraße drückt sich eine Ansammlung dunkelhaariger Knirpse am Schaufenster die Nase platt. Die kleinen Araber und Türken können es kaum erwarten, dass der Deutsch-Türkische Kinder und Mädchentreff (DTK) aufmacht. Aber erst müssen drinnen die Großen ihre Schulaufgaben beenden. Erst Punkt 15 Uhr lässt Erziehungswissenschaftler Harkan Aslan die Vier- und Fünfjährigen herein. Sie bestürmen den gebürtigen Türken: „Harkan, gehn wir Freitag schwimmen?“ – „Hast du noch rote Farbe für ein Fensterbild? – „Spielst du mit Kicker“?

Der DTK gehört zu den 32 in ihrer Existenz Kinder- und Jugendeinrichtugen in freier Trägerschaft in Friedrichhain-Kreuzberg. Das Gemeinschafts-projekt der Deutschen Sportjugend und der Alice-Salomon-Fachhochschule für Sozialarbeit besteht schon seit 1977. Über 100 Kinder und Jugendliche verbringen dort ihre Nachmittage. Zielgruppe des DTK sind Kinder zwischen 4 und 11. Zudem gibt es eine Mädchengruppe und einen Abend für 14- bis 16-jährige Jungen. Betreut werden sie von Harkan Aslan und der Sozialarbeiterin Michaela Peters. Den beiden Festangestellten stehen fünf Honorkräfte zur Seite, davon zwei türkischer und eine arbischer Herkunft. Angeboten werden Schularbeitshilfe, Ausflüge, sportliche Aktivitäten oder Kochen und Backen. Wie bei allen freien Träger sind die Zuwendungen, die der DTK vom Bezirksamt bekommt, in den vergangenen Jahren immer mehr geschrumpft. Von derzeit 213.000 Mark müssen ein Jahr lang alle Festkosten bezahlt werden: die Miete, die Betreuer, das Bastelmaterial und die Aktivitäten. Damit kann man keine große Sprünge machen.

Im Mädchenzimmer brüten fünf junge Damen über ihren Rechen-Hausaufgaben. Peters gibt ihnen Tipps. „Wenn ich rechnen muss, kriege ich immer Kopfschmerzen“, klagt die 12-jährige Cigdem mit gespieltem Ernst. Das größte Problem der Kinder sei, dass sie kaum Deutsch können, obwohl sie in Berlin geboren sind, erzählt Peters. „Viele kommen deshalb in der Schule überhaupt nicht mit und schaffen auch keinen Abschluss.“ Ohne die Hausaufgabenhilfe im DTK sähe es noch düsterer aus, ist Peters überzeugt.

In jedem Zimmer hängt die Hausregel: „Wer jemanden beschimpft, egal ob in Türkisch, Arabisch oder Deutsch, verlässt für diesen Nachmittag den DTK.“ Heute ist das nicht nötig. Eine Gruppe von jugendlichen Türken, die hereinstürmt, macht keinen Ärger. Sie ziehen grinsend von dannen, als Aslan sie auf die Jungengruppe verweist.

Die hat der 35-Jährige ehrenamtlich in seiner Freizeit aufgebaut. Seit zwei Jahren wird die Gruppe mit 8.000 Mark vom Bezirksamt extra bezuschusst. Bei der anstehendenden Mittelkürzung droht der Gruppe nun als Erstes das Aus. Dabei ist sie notwendiger denn je, weil es gerade für Halbstarke kaum gezielte Angebote gibt. „Die meisten türkischen und arabischen Jugendlichen Jungen haben keinen Ausbildungsplatz. Sie treiben sich auf der Straße herum und bauen Scheiße“, erzählt Aslan. „Sie sind nichts, haben nichts und gelten deshalb nichts. Das einzige was ihnen bleibt, ist ihre Nationalität und ihre Männlichkeit, und das stellen sie dementsprechend heraus“. Machogehabe und falsch verstandene Männlichkeit gehören zu den Dingen, die Aslan auf den Jungenabenden zu thematisieren versucht. Er versteht seine Arbeit auch als Konkurrenz zu den Islamisten in den Koranschulen. „Die Jugendlichen suchen Orientierung. Die Frage ist nur, wer sie ihnen bietet“, sagt Aslan. „Jugendarbeit ist Prävention, ein wichtiger Beitrag zur inneren Sicherheit“. Das sollten sich die Verantwortlichen vor Augen führen, wenn sie weiter im Kinder- und Jugendbereich sparen. PLUTONIA PLARRE