Männchen und Monster

Nicht immer nur strahlende Babys: Die Schau „Himmel und Hölle“ im Museum für Neue Kunst im ZKM Karlsruhe zeigt die dunkle Seite des Keith Haring. Spaß, überschattet von Tod und Gewusel

Vom Don’t-worry-Denken bis zur Kulturkritik ist es nur ein kleiner Schritt

von GEORG PATZER

Man sieht sie auf allem, was bedruckbar ist. Keith Haring, das ist im Bewusstsein der meisten der Maler mit den bunten Smileys, mit den grinsenden Hunden, den strahlenden, krabbelnden Babys, den fröhlich springenden Figuren. Mit seinem 1986 in New York eröffneten „Pop Shop“ vermarktete er seine oft gefälligen Bilder, zu Logos umgearbeitet, weltweit und äußerst lukrativ, sodass man es am Ende nicht mehr sehen konnte – überschätztes Kunsthandwerk, so schien es. Dabei hatte sein Anfang als Graffiti-Maler in New York durchaus auch soziale Aspekte, sollte sein Pop Shop auch Anlaufstelle für Sprayer und jugendliche Musiker werden. Dann starb der finanzbewusste Geschäftsmann der Kunstwelt 1990, erst 31-jährig, an Aids.

Die lebensfrohe Spielerei war nur eine Seite. Die andere ist die Beschäftigung mit dem Tod, mit der Katastrophe, mit der Gewalt und der Zerstörung, die derzeit in Karlsruhe im Museum für Neue Kunst des ZKM zu sehen ist. Vieles davon wurde nie oder nur sehr selten gezeigt – etwa das titelgebende „Marriage of Heaven and Hell“, das beim Auseinanderrollen nach fast zwanzig Jahren einen leicht müffelnden Geruch von sich gab, wie MNK-Mitarbeiter Andreas Schalhorn erzählte.

Auch hier sieht man Harings krabbelnde oder fliegende Männchen, die sich um zwei Hände drehen: Die obere steckt der unteren einen Ehering auf den Zeigefinger, denn der Ringfinger ist nicht ausgestreckt, die Hand formt den Teufelsgruß, die fliegenden Figuren könnten Engel oder Teufel sein, und unten lodern die Flammen, Leichen liegen übereinander, wie auf einem Bild der Apokalypse.

In einem anderen Werk spielt er mit der Zahl 666 auf kabbalistische Zahlenmagie an, wieder ist es der Teufel, der mit dieser Zahl bezeichnet wird. Häufig sind Monster zu sehen, totenkopfartige, gallegrüne Gebilde mit skelettartigen Tentakeln, oder Zivilisationsmüll wie Fernseher oder abstürzende Flugzeuge. Selbst die Babys haben plötzlich nichts Beruhigendes mehr, sondern scheinen irgendwie zu den vielen sich penetrierenden, sich – im Wortsinn – durchbohrenden Männern zu gehören. Blut spritzt, und das vielarmige, phallische Gewimmel könnte aus einem Albtraum stammen.

Im MNK/ZKM wird der große Lichthof von den „Zehn Geboten“ dominiert, die Haring für eine Ausstellung in Bordeaux anfertigte. Drei Tage vor Eröffnung begann er damit und arbeitete die Nächte durch. Doch zunächst musste er sich erst mal eine Bibel besorgen, da er die Gebote nicht auswendig kannte. Es sind meterhohe Gemälde, knallig Rot auf Gelb illustrieren sie assoziativ moralische Verstöße der Welt. Da ringeln sich Schlangen aus einem Mund, ein Kopf ist voll von Zivilisationsbildern, Computern, Autos, Dollarzeichen und gedrängten Figuren, ein Kind wird zerrissen, das Goldene TV-Kalb wird angebetet.

Hinter und neben diesen sehr plakativen Gemälden, die als Block gehängt sind, werden in Nischen und im Hintergrund die etwas kleineren gruppiert, die ebenso schlagwortartig mit Versatzstücken operieren wie die großen Bilder. Immer wieder steht die Sexualität im Vordergrund. Immer ist es eine phallische, direkte, rohe und unverstellte Sexualität, meistens ist sie mit Gewalt und Brutalität verbunden. In schwarzen, düsteren Varianten werden Bäume zu Menschen, aus Nasen wachsen Äste, auf denen Vögel sitzen und natürlich was treiben – genau: Sex. Auf Serien von Zeichnungen wird in Variationen ein dunkles, teufelgehörntes Spermium geboren, das den Tod bringt, in Verbindung mit einer Spritze, einem Kreuz oder einem (umgekehrten) Hakenkreuz. Aber vieles ist dann doch nur ornamentales Gewusel, das nur hier und da zu etwas Erkennbarem ausgeformt ist.

Es ist schon seltsam, zu beobachten, wie einfach Haring seine fröhlichen Männchen zu bedrohten kleinen Monstern umformen konnte, wie kurz der Weg von der kapitalkräftigen „Don’t worry – be happy“-Ideologie zur alles umfassenden antiamerikanischen Kulturkritik wird. So oberflächlich das eine, so krude und wenig durchdacht scheint das andere. Selbstkritik, gar Selbstironie ist hier nirgendwo zu spüren. Die Grundaussage seiner Bilder ist einfach, eine Plattitüde: Das Leben ist grausam, Sexualität ist brutal, der Spaß wird überschattet von Tod und Zerstörung.

Möglich, dass sich in seinem Stil noch eine Verbindung ergeben hätte, zwei seiner späteren Bilder legen das nahe. Da sieht man in „The Last Rainforest“ auf einem dichten farbigen Untergrund wieder die bekannten Figuren, die sich umschlingen, Metamorphosen mit Pflanzen und Tieren eingehen; man sieht die obsessive Sexualität, und doch ergibt sich eine Abkehr von den signethaft verkürzten Figuren ins Malerische. Schon in anderen Bildern ist das angedeutet, hier wird aber ein dichterer Zusammenhang deutlich.

Keith Haring: „Heaven and Hell“, bis 6. 1. 2002, Museum für Neue Kunst im ZKM Karlsruhe. Der Katalog ist im Verlag Hatje Cantz erschienen, 200 Seiten, 49 DM