In Südafrika ist Aids der Killer Nummer 1

Laut eines medizinischen Untersuchungsberichtes sterben die meisten Südafrikaner an Aids. Doch die Regierung von Thabo Mbeki will das nicht wahrhaben und denkt stattdessen über Kürzungen des Budgets für Gesundheit nach

JOHANNESBURG taz ■ Hysterie hat Südafrika schon vor Bekanntgabe des Ergebnisses einer Untersuchung erfasst, die der Medizinische Forschungsrat heute vorgelegt. „Aids ist der Killer Nummer eins“ lautet der Befund, den die Präsidentschaft nicht wahrhaben will. Der Bericht ist angeblich von der Regierung zurückgehalten worden, doch vorab durchgesickerte Zahlen haben die Auseinandersetzungen über die Statistik weiter verschärft.

Die größtenteils vom Staat getragene Studie des Medical Research Council (MRC) widerlegt die Annahme der Regierung, dass die meisten Südafrikaner durch Gewalt umkommen. Hingegen starben 40 Prozent der Menschen im Alter von 15 bis 49 Jahren laut MRC 2000 an Aids. Die Statistikbehörde kritisiert die Methoden der Untersuchung: Es sei schwierig, korrekte Daten für Sterblichkeitsziffern zu sammeln, da Aids nicht meldepflichtig ist. Die Regierung spricht von einem unzuverlässigen Teilergebnis, ein offizieller Bericht sei Ende des Jahres fällig.

„Die Präsidentschaft und die Gesundheitsministerin leugnen die katastrophale Epidemie“, sagt Mark Heywood, Sekretär der Aidsaktivisten „Treatment Action Campaign“ (TAC). Sie handelten zu zögerlich, um billigere Aidsmedikamente zuzulassen. „Diese Haltung darf nicht bestehen bleiben, denn der Preis dafür bedeutet Millionen Tote.“

Einen weiteren Beweis für Präsident Thabo Mbekis ablehnende Haltung sieht Heywood in dem jüngsten Vorfall: Mit Vorliebe surft der Präsident im Internet, und dieses Mal fand er die letzten offiziellen Aidsstatistiken der Weltgesundheitsorganisation von 1995, die nur 2,2 Prozent der Todesfälle auf Aids zurückführen. So schrieb er einen Brief an seine Gesundheitsministerin Dr. Manto Tshabalala-Msimang, sie solle die Ausgaben in ihrem Ressort überprüfen. Die Regierung rühmt sich, etwa 300 Millionen Mark für Kampagnen gegen HIV und Aids ausgegeben zu haben.

Die Zahlen der Aidsopfer sind in den letzten Jahren jedoch drastisch gestiegen. Heywood bedauert, dass die Regierung die Stimmung nach dem Sieg im Gerichtsverfahren gegen 39 Multi-Pharma-Konzerne nicht genutzt hat. Damals ließ die Industrie die Klage gegen die Regierung fallen, mit der sie zum Schutz ihrer Patente ein Gesetz zur Herstellung von billigen Nachahmerprodukten ablehnen wollte.

Zu dieser Zeit kämpften die Aidsaktivisten mit der Regierung. Jetzt haben sie den Staat angeklagt mit der Forderung, das Medikament „Nevirapin“ an Schwangere zu verteilen, um das Übertragungsrisiko auf Ungeborene zu reduzieren. Die Regierung ist über die Kosten besorgt, und auch Nebenwirkungen und Resistenzbildung ließen nur 18 Pilotprojekte mit „Nevirapin“ entstehen. „Das reicht nicht. Wir brauchen einen konkreten Aids-Behandlungsplan“, sagt Heywood. Die Regierung soll sich am 18. Oktober vor Gericht dazu äußern. Die Pharmabetriebe haben die Preise für Aidsmedikamente zwar gesenkt, doch laut TAC und den Organisationen Ärzte ohne Grenzen und Oxfam nicht genügend. Neuerdings hat der Pharmahersteller GlaxoSmithKline dem südafrikanischen Unternehmen Aspen die Lizenz erteilt, drei Aidsmedikamente herzustellen. Dann könnte die Mehrheit der Bevölkerung, die nicht privat versichert ist, für etwa vier Mark am Tag eines ihrer Medikamente kaufen.

Heywood fordert jedoch, den Markt für den Wettbewerb aller Hersteller zu öffnen, um möglichst billige Produkte zu bekommen. „Wir kämpfen weiter“, sagt er. Auch die katholische und anglikanische Kirche haben sich mit dem Gewerkschaftsverband Cosatu hinter die Aktivisten gestellt und fordern die Anerkennung eines nationalen Notstandes. Doch während die Debatte um Statistiken weitergeht, infizieren sich täglich 1.700 Menschen mit dem Virus. MARTINA SCHWIKOWSKI