Ent-Täuschung

betr.: „Das WTC hat es gegeben“, taz vom 6./ 7. 10. 01

Schön, dass Diedrich Diederichsen nun auch einen „weißen Fleck“ in dem „Meinungsatlas“ getilgt hat.

Warum nur macht mir Diederichsens so „populär“ vorgetragenes Statement etwas andere Probleme als vieles, was ich bisher über WTC und dazu gelesen habe?

Es ist wohl Ent-Täuschung. Es ist das durch den Artikel wieder zu Tage tretende verdrängte Wissen, dass es „tatsächlich“ intellektuelle und sprachmächtige Fraktionen gibt, die „die Medien“ als eine „einzige andere und geschlossene Welt“ betrachten. Dies wird auch von Diederichsen selbst implizit wiederholt, wenn er sich, entgegen seinem mit flotter Schreibe formulierten Anliegen, einerseits für eine „Ideologiekritik massenmedial erzeugter Bilder“ ausspricht und in seiner Forderung, dass es nicht reiche, „sich über mediale Effekte zu unterhalten statt über die politischen Sachen selbst“, gleichzeitig eine Trennung zur „Politik“ vornimmt. Was diese „politischen Sachen selbst sein sollen, dazu scheint ihm selbst auch nur einzufallen, dass es das WTC „echt gegeben“ hat.

Diederichsens frommer Wunsch, die linke Ideologiekritik möge doch weiter gehen als „wie bisher immer nur das Ideologische an der Ideologie zu konstatieren“ und stattdessen „aus ihrer Kritik eine eigene Politik ableiten“, ist nicht nur eine unangemessene Vereinheitlichung „linker Ideologiekritik“. Sie ist ebenso eine Ignoranz gegenüber Positionen, die seit zwei Jahrzehnten u. a. aus ebendiesem Grund die einer „Ideologiekritik“ selbst inhärenten Grenzen zum Thema gemacht und produktiv umgearbeitet haben.

So haben feministische Stimmen dazu eine Vielzahl stichhaltiger Argumentationen vorgelegt. Sie haben nicht nur Analysen vorgestellt, die ein Ineinandergreifen von „Kultur“ und „Politik“ thematisieren, sondern einhergehend auch formuliert, wie (massen-)mediale Repräsentationen und eine so genannte „Realität“ über tradierte machtvolle Mechanismen einer naturalisierenden Bedeutungsproduktion miteinander verschränkt sind. Wenn Diederichsen wortreich von einer Sprachnot spricht, so bräuchte diese wohl nicht so sehr ein simples „mehr Begrifflichkeit“, sondern ein Ansetzen bei der Reflexion dessen, was „da“ ist, aber ungesagt bleiben muss, damit die Rhetorik eines sich „wissend“ gebenden Sprechens funktionieren kann. Es geht weniger um Schlagwörter, zu denen auch ein Poststruk-Vokabular selbst allzu oft verkommt, als um die diskursiven Verknüpfungen, die solche Termini signifikant und nicht allzu selten im Bereich eines Unbewussten wirksam machen.

Kultur ist nicht nur einfach ein Code, wie Diederichsen schreibt, Kultur formiert sich als eine Vielzahl verwickelter, sich überlagernder, von Machtstrukturen durchzogener Codierungen – dasselbe gilt für Politik. „Imagine“, dass auf dieser Ebene auch ein Denken möglich wird, das differenzierende Verbindungen zwischen verschiedenen Feldern formulieren und durcharbeiten kann – ohne auf eine hippe Kombination von intellektualistischer Ausdrucksgewandtheit und szenesprachlicher Halbstarkenrhetorik angewiesen zu bleiben, die überdies nicht von ungefähr ausgerechnet im polemisch formulierten Bild des Paradieses als einer Utopie „ohne“ endet.

KERSTIN BRANDES, Kunstwissenschaftlerin, Hamburg