Im Hintergrund lockt das Öl

Auch wenn der Krieg gegen Afghanistan kein Krieg um den Zugang zum schwarzen Gold ist, könnte er den USA doch russlandunabhängige Wege zu den begehrten Erdölreserven in Zentralasien öffnen

von NICK REIMER

„Für die USA gibt es nur eine Region, für die es zu kämpfen lohnt“, schrieb David Trucker, der im US-Verteidigungsministerium für Konflikte unterhalb der Kriegsschwelle zuständig ist, vor drei Jahren in einer amerikanischen Militärzeitschrift: „Das Gebiet vom Persischen Golf nördlich bis zum Kaspischen Meer und östlich bis Zentralasien. Hier lagern 75 Prozent der Welterdöl- und 33 Prozent der Erdgasreserven.“ Auch wenn sich diese Einschätzung in der aktuellen US-Politik nicht direkt spiegelt, bleibt sie doch brisant.

Die transnationalen Ölkonzerne Agip, Shell, Statoil oder BP Amoco haben sich in Zentralasien und rings um das Kaspische Meer aufgestellt. Sie betreiben jedoch nicht annähernd so viel Aufwand wie die US-Gesellschaften Exxon Mobil Oil, Conoco oder Chevron. Diese halten bis zu 50 Prozent an den wichtigsten Konsortien zwischen Turkmenistan und Aserbaidschan und haben bislang etwa 20 Milliarden Dollar in die Erschließung der Vorkommen investiert.

Dieses Engagement gehorcht nicht nur dem Profitinteresse: Die ost- und zentralasiatischen Nachfolgestaaten der Sowjetunion liegen an einer der wichtigsten geopolitischen Trennlinien der Welt. Die Hegemonialmacht Russland kämpft um einen Rest Einfluss auf ihre einstigen Vasallen. Aserbaidschan, Usbekistan und Georgien orientieren sich hingegen nach Westen. Und der nutzt das: Vor allem die USA versuchen, Russland mit dem Bau von Pipelines zurückzudrängen und sich die Reserven zu sichern.

„Heute sind die Vorkommen wirtschaftlich weit weniger bedeutend als etwa die auf der Arabischen Halbinsel“, sagt Jürgen Conrad, Osteuropa- und Zentralasienexperte der DB Research. Gerade mal 5 Prozent der Lagerstätten seien erschlossen. Allerdings planen Ölkonzerne strategisch zehn Jahre voraus. Und hier sind die zentralasiatischen Reserven im Vorteil: „Sie sind von der OPEC unabhängig“, so Hilmar Rempel von der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR).

Die USA haben bislang drei Optionen zum Bau einer von Russland unabhängigen Pipeline verfolgt. „Mitte der 90er-Jahre trafen sich Amerikaner mit den Taliban, um über eine Leitung vom turkmenischen Danletabat durch Afghanistan ins pakistanische Gwadar zu sprechen“, so DB-Experte Conrad. Auch Ussama Bin Laden habe teilgenommen. Resultat: „Die afghanische Option ist keine.“ Angesichts der instabilen Lage sei nicht einmal eine Machbarkeitsstudie in Auftrag gegeben worden. „Dass die Pipeline überhaupt in Erwägung gezogen wurde, ist erstaunlich“, urteilen Hella Engerer und Christian von Hirschhausen in einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung.

Und den Iran haben die USA zwar im vergangenen Jahr offiziell von ihrer inoffiziellen „Schurkenstaaten-Liste“ gestrichen, doch zwischen beiden Ländern herrscht immer noch kalter Krieg. So gab es auch hier nur Planspiele: Der Iran sollte von den US-Multis in Turmenistan und Kasachstan Gas und Öl kaufen, über die nach Teheran bestehende Leitung beziehen und in seinem Norden selbst verbrauchen. Die gleiche Menge sollte im Gegenzug aus iranischer Förderung am persischen Golf von den USA verschifft werden.

Bleibt die türkische Option. „Das Abkommen richtet sich keineswegs gegen Russland“, beschwichtigte die Sicherheitsberaterin von US-Präsident Bill Clinton, Sandy Berger, 1999. Damals war im Beisein des Präsidenten ein Kontrakt zwischen Aserbaidschan und Georgien unterzeichnet worden: Für etwa 5 Milliarden Mark sollte eine 1.730 Kilometer lange Pipeline von Baku (Georgien) zum türkischen Mittelmeerhafen Ceyhan gebaut werden. Clinton: „Wir werden diesen Vertrag in 30 Jahren als die wichtigste Entscheidung dieses Jahres werten.“ Russlands Präsident Wladimir Putin nutzte dann jedoch die Zeit, als in den USA der Wahlkampf tobte.

„Im vergangenen Jahr hat Moskau im Rennen um die Pipelines deutliche diplomatische Erfolge verbucht“, schätzt DB-Analyst Conrad. Während die Leitung nach Ceyhan noch nicht über das Planungsstadium hinaus gediehen ist, steht die russische Leitung vom kasachischen Ölfeld Tengiz zum russischen Schwarzmeerhafen Novorossijsk seit Mai. Seitdem läuft sie voll Öl. Conrad geht davon aus, dass noch in diesem Jahr der erste Tanker mit zentralasiatischem Öl im Mittelmeer ablegen wird.

„Die von den USA protegierte Leitung ist gestorben“, so Conrad. Wegen Erdbebengefährdung, ethnischen Konflikten und schwierigem Gelände sähen die beteiligten Länder keine Chance für einen wirtschaftlichen Betrieb. „Die Trasse Baku-Ceyhan rechnet sich nur, wenn hier auch turkmenisches, kasachisches und usbekisches Gas transportiert werden kann“, so BP-Aserbaidschan-Chef Woodward. Das allerdings bedeutet, dass Unterseepipelines Ost- und Westküste des weltgrößten Binnenmeeres verbinden müssten. Dagegen sperrt sich Anrainer Russland erfolgreich.

Im Sommer versuchten die USA, den Bau auf diplomatischem Weg zu retten. Wie ernst ihre Ambitionen sind, machte US-Vizepräsident Dick Cheney in seinem Energieprogramm deutlich: Explizit ist dort die Pipeline in die Türkei aufgeführt.

Experten glauben nun, dass sich durch die Eskalation in Afghanistan neue Strategien durchsetzen. „Wer über die derzeitige Eskalation hinausdenkt, kommt zu dem Schluss, dass diese Option hochaktuell wird“, so Conrad. Für ein befriedetes Afghanistan, das wieder aufgebaut werden müsse, vom Westen abhängig sei und wirtschaftliche Impulse brauche, käme ein milliardenschwerer Pipelinebau gerade recht. „Eine Trasse durch Afghanistan ist nicht nur billiger, sie ist auch schneller zu bauen“, urteilt Rempel. So weit gehen, die Aktion „enduring freedom“ als Weg zur Erschließung zentralasiatischer Bodenschätze zu betrachten, will er nicht. „Aber sicherlich wurden bei der Ausarbeitung der US-Strategie auch solche Fragen bedacht.“