Interessenabgleich in Islamabad

Der Besuch des US-Außenministers soll militärische und politische Ziele synchronisieren. Offen bleibt, was nach einem Sturz der Taliban passieren soll

von BERNARD IMHASLY

US-Außenminister Colin Powell ist gestern Abend in Pakistans Hauptstadt Islamabad zu einem Arbeitsbesuch eingetroffen. Der genaue terminliche Ablauf seiner Asienreise wird aus Sicherheitsgründen geheim gehalten. Nach pakistanischen Angaben spricht Powell mit Präsident Muscharraf über die Fortsetzung der Militärkampagne – auch im Licht der innenpolitischen und humanitären Folgen.

Ein Thema wird aber in Islamabad und heute in Delhi auch der Kaschmir-Konflikt sein. Die USA haben großes Interesse daran, dass sich das Verhältnis zwischen beiden Staaten entspannt, damit der Zusammenhalt der Allianz nicht gefährdet ist. Mit dem Besuch in Islamabad erkennen die USA zugleich die Frontstaatenrolle an, die Pakistan trotz innenpolitischem Widerstand übernommen hat. Zugleich wollen sie Präsident Muscharraf innenpolitisch stärken.

Islamische Parteien hatten gestern mit gemischtem Erfolg zum Generalstreik aufgerufen. Er wurde in grenznahen Städten und in Karatschi weitgehend befolgt, in Islamabad und Lahore blieben aber viele Geschäfte geöffnet. Die gewalttätige Demonstration vom Sonntag rund um die Luftwaffenbasis Jacobabad zeigt aber, dass die Stimmung unbeständig ist. Präsident Muscharraf sagte vor einer Woche, er sähe gerne ein baldiges Ende der Luftschläge. Als General weiß Muscharraf aber zweifellos, dass eine vorzeitige Beendigung der Angriffe aus der Luft die militärische Kampagne insgesamt noch verlängern könnte.

In Islamabad gibt es sogar Stimmen, die sich für eine zeitliche Ausdehnung der Angriffe aussprechen. Die Logik dieses Arguments liegt in der Verzögerung, die eine Offensive der Nordallianz dabei erleiden würde. Auch in Islamabad wird intensiv spekuliert, was die Allianz bisher eigentlich abgehalten hat, im Schutz der Luftschläge die Taliban-Front rund 40 Kilometer nördlich der Hauptstadt anzugreifen. Immerhin haben nach Angaben der Allianz schon 4.000 Taliban-Kämpfer die Seiten gewechselt. Verteidigungsexperten wie Naseem Zera meinen indes, dass sich die Nordallianz an vielen Fronten verzettelt hat. Die Truppen nördlich der Hauptstadt seien nicht stark genug, um die besten Taliban-Verbände zu überrennen. Für andere liegt der Grund in der mangelnden Synchronisierung militärischer und politischer Ziele durch die USA. Diese müssen befürchten, dass die Taliban-Regierung militärisch zusammenbricht, bevor eine politische Nachfolgelösung greifbar ist. Dies würde ein Machtvakuum schaffen, das die Nordallianz nicht füllen könnte.

Die Nordallianz hat mit Exkönig Zahir Schah ein Abkommen über die Vorbereitung einer breiten Meinungsbildung für ein Nach-Taliban-Afghanistan getroffen. Doch dieser Prozess macht nur langsam Fortschritte. Zudem ist fraglich, wie sich eine Nachfolgeregierung ethnisch zusammensetzen würde.

Auch die UNO ist bisher noch kaum in Erscheinung getreten, sei es als Vermittlerin oder als mögliche Akteurin etwa in Form einer Interim-Administration nach einem Sturz der Taliban. Pakistans Regierung hofft, dass die USA auf ihre Abneigung gegen die Nordallianz Rücksicht nehmen. Außenminister Abdus Sattar erklärte, seine Regierung habe die USA gebeten, mit Angriffen auf Taliban-Truppen zu warten, weil eine Machtübernahme der Allianz-Truppen in Kabul zur Anarchie führen würde.

Gestern traf auch eine Delegation von Exkönig Zahir Schah in Islamabad ein und wurde vom Außenminister empfangen. Pakistan insistiert, dass eine politische Lösung alle politischen und ethnischen Kräfte berücksichtigen muss. Dazu zählt das Land auch seine eigenen strategischen Interessen: Islamabad sähe es gern, wenn gemäßigte Taliban darin vertreten wären. Diese sind aber bisher noch nicht an die Öffentlichkeit getreten. In diesem Zusammenhang sind wohl auch Gerüchte über den Taliban-Außenminister Wakil Khan Mutawakil von gestern zu deuten. Nach einem der Gerüchte ist Mutawakil nach Abu Dhabi gereist, um dort Vertreter der US-Regierung zu treffen. Ein anderes behauptete gar, er werde Powell in Islamabad treffen. Der Taliban-Geschäftsträger dementierte beide Gerüchte. Es gebe keine Spaltung bei den Taliban.