Die Grünen stehen alleine da

Auch Menschenrechtspolitiker aus anderen Parteien unterstützen die Forderung nach Einstellung der US-Angriffe nicht. SPD warnt vor Sandkastenspielen

Es ist eine provinzielle Idee, von Berlin aus die US-Angriffe regulieren zu wollen

aus Berlin PATRIK SCHWARZ
und LUKAS WALLRAFF

Am Vormittag nahm Gerhard Schröder die Grünen noch in Schutz. Im SPD-Präsidium verwahrte er sich zwar gegen die Forderung der Grünen-Chefin Claudia Roth, die US-Militärschläge in Afghanistan müssten aus humanitären Gründen ausgesetzt werden. Gleichzeitig, so berichten Teilnehmer, wies er die versammelten Sozialdemokraten aber darauf hin, dass Roths Haltung nicht die der Grünen insgesamt sei. Der Kanzler und SPD-Vorsitzende war sich offenbar sicher: Der Koalitionspartner wird doch nicht auf halbem Wege aus der rot-grünen Anti-Terror-Koalition aussteigen.

Nachmittags um halb drei sah die Lage anders aus: Roth verkündete, der grüne Parteirat habe sich „einvernehmlich“ der Forderung angeschlossen, die Bombardierung auszusetzen. Nur so könnten die 7 Millionen Flüchtlinge in Afghanistan vor einer Hungerkatastrophe bewahrt werden. Auf einen formalen Beschluss verzichtete das Gremium zwar. Doch was am Morgen mit einer einsamen Äußerung der Parteilinken Roth im Deutschlandfunk begonnen hatte, war plötzlich grüne Politik – gedeckt von den Namen so wichtiger Parteiratsmitglieder wie Joschka Fischer, Jürgen Trittin, Rezzo Schlauch und Kerstin Müller. „Solidarität heißt ja nicht, Ja und Amen zu sagen“, hatte Roth argumentiert. Wohl um den Konflikt mit den Sozialdemokraten abzumildern, nannte Roth die UNO-Hochkommissarin für Menschenrechte Mary Robinson als Urheberin des Vorstoßes für ein „suspension of bombardment“.

SPD-Generalsekretär Franz Müntefering, ohnehin kein Freund semantischer Spielchen, wird durch den Hinweis kaum zu beruhigen sein. Er hatte zuvor bereits gemahnt, sich mit deutschen Ratschlägen an die Adresse der USA zurückzuhalten. Es habe keinen Sinn, aus dem deutschen „Sandkasten“ heraus der Regierung in Washington generalstabsmäßig zu sagen, was sie besser machen könne.

Vor neun Tagen stimmte der grüne Länderrat militärischen Operationen gegen den Terror zu, vor acht Tagen begannen die US-Luftschläge. Jetzt wollen die Grünen aussteigen. Was veranlasste sie zu einer Kehrtwende?

Fragt man in grünen Führungsetagen herum, finden sich drei Ansichten: Die einen sagen, von einer Kehrtwende kann keine Rede sein, die anderen sehen zwar ein deutlicheres Flaggezeigen, als es sich die Grünen bisher erlaubten, glauben aber offenbar, dass es darüber nicht zum großen Krach mit dem Kanzler und der SPD kommt, und die dritten, die immer schon gegen Militärschläge waren, sehen sich ihrem alten Ziel näher kommen.

Solidarität mit den USA heißt doch nicht, zu allem Ja und Amen zu sagen

Gegen die Kehrtwende spricht in der Tat die Breite der innerparteilichen Zustimmung. Man habe zwar diskutiert, „ob es Ende, Stopp oder Aussetzen“ der Luftangriffe heißen solle, berichtet ein Teilnehmer aus dem Parteirat, aber im Kern seien sich alle einig gewesen. Mit Joschka Fischer, der als Stellvertreter Ludger Volmer schickte, habe Roth vor der Sitzung telefoniert, hieß es, auch er könne mit der Forderung leben.

Blickt man genauer auf die einzelnen Standpunkte prominenter Grüner, lassen sich freilich deutliche Nuancen ausmachen. Kurz gesagt, sind die Bedenken bei denen am größten, die qua Amt aus dem Partei- einen Regierungsbeschluss machen müssten: den Ministern und der Fraktionsspitze. „Das passt nicht ins Bild“ der Unterstützung für die USA, kritisiert ein Fischer-Vertrauter, „provinziell“ sei die Idee, von Deutschland aus die US-Militärstrategie regulieren zu wollen. Fraktionschef Rezzo Schlauch stellt auf Nachfrage klar, er sei der Ansicht, dass man Mary Robinsons Vorschlag „ernsthaft überprüfen“ müsse. „Ich habe mir die Forderung nicht zu Eigen gemacht – das ist ein wichtiger Unterschied.“ Ein anderer Grüner weist darauf hin, dass ein Aussetzen der Bombardierung kein Ende jeglicher Militäroperationen bedeuten müsse. Der Einsatz eines Spezialkommandos am Boden zur Festnahme Ussama Bin Ladens, so die Überlegung, würde ja eine geordnete Lebensmittelhilfe für die Flüchtlinge nicht behindern.

Mit ihrer Forderung stehen die Grünen vorerst jedenfalls ziemlich allein da. Selbst Menschenrechtspolitiker anderer Fraktionen, die sonst gelegentlich als Verbündete beispringen, lehnen ein Aussetzen der Bombardements ab. Der SPD-Abgeordnete Rudolf Bindig nannte gegenüber der taz die Forderung „nicht differenziert genug“. Nach seinen Erkenntnissen gebe es auch im Moment Möglichkeiten, humanitäre Hilfe in Afghanistan zu leisten. Der frühere Bundesminister und Menschenrechtsexperte der CDU, Christian Schwarz-Schilling, glaubt, „dass die Diskussionen bei den Grünen die Regierung und damit unser Ansehen in der Welt schwächen“.