Kino für Blinde
: Der Klang der Säulengänge

■ Der Blinden- und Sehbehindertenverein lädt zu drei blindengerechten Filmen ein

Von einem Medium schienen die Blinden bis vor einiger Zeit völlig ausgeschlossen zu sein. Was konnte ihnen das Kino schon bieten? Das Fernsehen schon eher, denn es ist ja auch eine Quasselkiste: Eine mir bekannte Blinde sitzt sehr gerne vor der Glotze, was wichtig ist, hört und errät sie, und wenn man sie besucht, erzählt man ihr einfach ein bisschen von dem, was man sieht. Aber im Kino sind die Bilder übermächtig. Seit einigen Jahren gibt es nun aber (im Fernsehen) Anstrengungen, auch Kinofilme für die Blinden und Sehbehinderten aufzubereiten. Bei den so genannten „Hörfilmen“ erzählt ein „Filmbeschreiber“ in den ruhigeren Passagen von Spielfilmen, was gerade zu sehen ist. Diese Versionen werden im Zweikanaltonsystem bei der ARD, dem ZDF, den Dritten und inzwischen sogar bei Sat 1 nicht immer, aber immer öfter ausgestrahlt. Für Kinosäle ist der Aufwand jedoch (noch?) zu groß und der Mehrverkauf an Karten minimal.

Aber es gibt eindeutig eine Bewegung der Blinden hin zum Kino, und so war es eine programmatische Entscheidung, dass die diesjährige Veranstaltung des hiesigen „Blinden- und Sehbehindertenvereins“ im Kino 46 im Medienzentrum Walle stattfindet. Die Senatorin Hilde Adolf hat ihren Besuch angekündigt, und im Rahmen einer Ausstellung werden blindengerechte Hilfsmittel wie optische Hilfen oder eine TV-Zeitschrift (!) für Blinde vorgestellt, die mit Barcodes funktioniert, die über ein Zusatzgerät in gesprochene Worte umgewandelt werden.

Im Mittelpunkt der Veranstaltung stehen aber drei Filme, die nicht nur blindengerecht nachbearbeitet, sondern direkt für Blinde gedreht wurden. Sie sind also schon so angelegt, dass die Informationen nicht zu sehr über die Bilder vermittelt werden. Zudem behandeln sie auch thematisch die Problematik der Sehbehinderten. „Protest mit Hund und Stock“ (14.30 Uhr) ist ein Dokumentarkurzfilm über die erste bundesweite Demonstration blinder und sehbehinderter Bürger, die am 9. Juni 2001 gegen die Abschaffung des Pflegegeldes protestierten. „Vier Tage in Bremen“ (15.30 Uhr) ist ein Video über einen Kurs mit blinden SchülerInnen, die in Niedersachsen in Klassen mit Nichtblinden sitzen. „Freiheit in die Welt“ (16.30 Uhr) ist schließlich ein durchaus ambitionierter Film der Bremer Filmemacherin Ulrike Westermann, der von der Schauspielerin Lou Simard („Gone West“) blindengerecht kommentiert wurde. Der Film erzählt von der Italienreise des blinden Bremer Ehepaars Joachim Steinbrück und Frederice Kaivers. Darin werden die alltäglichen Probleme von Blinden auf Reisen beschrieben, besonders auffällig ist aber, dass darin nicht etwa pausenlos erklärt wird, sondern dass die Regisseurin auch viel mit Geräuschen und Raumklängen gearbeitet hat. Denn Blinde können Kathedralen, Säulengänge und Piazzas hören, bei ihnen sind die anderen Sinne geschärft. Schon der Titel zeigt, dass dieser Film den Blinden Mut zur Eigeninitiative machen will. Wenn sie nur genug Druck machen, sind ja vielleicht in ein paar Jahren in den Kinos Funkfrequenzen mit Filmbeschreibungen so verbreitet wie heute Rollstuhlrampen.

Wilfried Hippen

Die Veranstaltung „Immer eine Stocklänge voraus“ findet heute zwischen 13 und 18 Uhr im Kino 46, Waller Heerstr. 46 statt