Ja oder Nein zum Krieg?
: Feiges Dabeisein-Wollen

■ Wie steht Bremen zum Krieg? Eine Umfrage der taz (Teil 9)

Wolfram Elsner war Konversionbeauftragter des Landes Bremen. Heute ist er Professor für Wirtschaft an der Universität Bremen. Für die taz hat er sich Gedanken zum Krieg gegen Af-hanistan gemacht.

„New York“ wird ein, wenn nicht das Symbol des Jahrhunderts werden. Für neues „Heldentum“, „freedom&democracy“ und „gerechten Kreuzzug“ im Sinne amerikanischer Fundamentalisten? Dann wird dieses Symbol in kurzer Zeit in einem Ozean von Barbarei, Blut und Tränen ertränkt werden. Wenn N.Y. aber das Symbol dafür werden kann, dass die Welt nun endgültig eine „globale“, „eine“ Welt geworden ist, in der keine Aktion mehr von der anderen zu trennen ist, in der alle Völker und Regionen „in Echtzeit“ miteinander verbunden sind, in der nicht mehr nur wir der „dritten“ und „vierten“ Welt unseren Stempel aufdrücken, sondern diese auch in unseren Städten angekommen sind – dann besteht vielleicht die Chance für die erforderliche Wende in unserem Denken und Handeln, die die Wirkungen unseres Handelns auf die anderen (und umgekehrt) endlich in Rechnung stellt.

Wir können uns nicht mehr leis-ten wegzusehen, wenn in unserem Namen „irgendwo weit weg“ Ausbeutung, Diktat, Gewalt, Zerstörung und Erniedrigung ausgeübt werden – dies alles schlägt zurück in unsere „heile Welt“. Die „staatstragenden“ Medien haben uns bisher ja eine Welt vorgegaukelt, in der wir von den vielen Völkern, Kulturen und Regionen die Zerstörung, das Leiden, die Degradierung, die Wut und den Widerstand nur gefiltert erfahren haben.

Die exklusive Herstellung der globalen Ebene für die mächtigs-ten Wirtschaftsinteressen, die Umverteilung von unten nach oben und der totale Ressourcen- und Herrschaftsanspruch der neuen unipolaren Mächte-Struktur sind nur durchsetzbar durch eine soziale Zerstörung und kulturelle Degradierung großen Ausmaßes, die Zerstörung jener gewachsenen gesellschaftlicher Institutionen, die Sicherheit, Orientierung und damit erst die Bereitschaft der Menschen zu Neuem gewährleisteten. Nun sind wir also endgültig hineingezerrt worden in ein System von staatlicher und privater Gewalt und Gegengewalt – die „staatstragenden“ Medien nennen das eine „Friedensmission“, das andere „Terror“. N.Y. muss Anlass werden, diese tödliche Logik, die viele zurzeit geradezu besoffen macht, endlich zu durchbrechen.

Die UNO, die das aus den schlimmsten Erfahrungen kondensierte historische Wissen der Völker im vernünftigen Umgang mit Konflikten aller Art repräsentiert, mit ihren friedlichen und rechtsstaatlichen, aber effektiven Konfliktregelungsmechanismen, ist demgegenüber finanziell gegängelt, zermürbt, delegitimiert und nun endgültig beiseite geschoben worden. Sie darf bestenfalls noch sekundieren. N.Y. muss daher auch die Wiedergeburtsstunde des internationalen Völkerrechtssystems markieren!

Die „Staatengemeinschaft“ der „zivilisierten Welt“, die G7 mit ihren Regulierungs- und Interventionsapparaten Weltbank/IWF, WTO und NATO – diese „global governance“ ist dagegen ein Minderheitenregime der größten Geldverfüger, eine globale Plutokratie. In einer Welt, in der finanzielles, (handels-)rechtliches und militärisches Diktat der größten Mächte wieder an der Tagesordnung sind, sind notwendigerweise auch Krieg und Vernichtungsoperationen wieder normale Mittel der Politik geworden. Man ruft wieder nach „totalem Krieg“ – wann wird der „gelbe Stern“ für den anders aussehenden Nachbarn folgen? Dabei waren zum Beispiel ja die Taliban und Bin Ladens noch bis vor kurzem unsere „Freiheitskämpfer“ und „Freunde“ – solange sie nämlich die damals regierenden, weltoffenen und linksliberalen Kräfte in Afghanistan bestialisch massakrierten. Und übrigens sind auch die Regeln des zivilisierten Umgangs mit Verdächtigen außer Kraft gesetzt: Gerichtsbeständig verdächtig für N.Y. ist noch niemand. Vorverurteilte, lieber tot als lebendig – das ist Mittelalter.

Die US-Friedensbewegung hat nach N.Y. gefordert, dieser globalen governance den sozialökonomischen Nährboden zu entziehen. Nationale Souveränität, gesellschaftliche Handlungskompetenz sowie die zentralen Produktivkräfte – soziale Institutionen und individuelles Selbstwertgefühl – sind in den meisten Ländern dieser Erde völlig zerstört. Laut Weltentwicklungsbericht der UNESCO hat die Welt seit 1800 noch nie so ungleiche und damit ungerechte Verteilungsstrukturen gekannt. Eine kleine Gruppe von Superreichen im Bruchteilbereich eines Promilles verfügt über mehr Einkommen und Vermögen als drei Viertel der Weltbevölkerung, unter den hundert finanziell größten Einheiten der Welt befindet sich nur noch eine (schrumpfende) Minderheit von Staaten, eine (wachsende) Mehrheit dagegen sind private Unternehmen. Wer dieses globale System herbeireguliert, wer diese Beleidigung der Menschheit, unseres Verstandes und unserer grundlegendsten Werte sichert, muss letztlich selber nicht nur gewalttätig werden, sondern terroristisch.

Deutschland und die Europäer sollten, statt die Feigheit des unter allen Umständen Dabeisein-Wollens zu zelebrieren, jetzt den Mut entwickeln, eine notwendige neue Kultur im Umgang der Völker und Staaten miteinander einzuüben. Wolfram Elsner