Stunde der Trittbrettfahrer

Die Flut der Milzbrand-Warnungen reißt nicht ab. Verdächtige Schreiben im Auswärtigen Amt und beim Springer-Verlag. Post versiegelte 14 Briefkästen. Firmen verschärfen Sicherheitsmaßnahmen

von RICHARD ROTHER

Nach den Milzbrand-Vorfällen in den USA haben auch gestern verdächtige Postsendungen in der Stadt für Aufregung gesorgt. Im Auswärtigen Amt sei ein verdächtiger Umschlag eingegangen, so ein Behördensprecher. Der Brief sei an die zuständigen Stellen weitergeleitet worden und werde dort geprüft. Die Arbeit im Ministerium sei durch den Umschlag aber nicht beeinträchtigt worden, auch seien keine Mitarbeiter nach Hause geschickt worden. Bereits am Vortag war im Bundeskanzleramt ein Brief mit einem verdächtigen Pulver eingegangen. Die mikrobiologische Untersuchung hatte allerdings ergeben, dass das Pulver keinen Milzbrand-Erreger enthielt. Die Polizei sprengte am Nachmittag einen verdächtigen Koffer im Lustgarten, beim Axel-Springer-Verlag ging ein obskures Schreiben ein.

Die wissenschaftliche Untersuchung verdächtiger Substanzen werde in mehreren Stufen vorgenommen, erläuterte Susanne Glasmacher, Sprecherin des Robert-Koch-Instituts. Mit der licht- und elektronenmikroskopischen Untersuchung werden erste Erkenntnisse gewonnen. Danach versuchen die Biologen, eventuelle Bakterienkulturen zum Nachweis zu züchten. Eine genaue Untersuchung dauert deshalb mehrere Stunden oder Tage.

Wie gestern bekannt wurde, hatte die Deutsche Post AG bereits am Montag 14 Briefkästen in Schöneberg und Kreuzberg versiegelt. In der gesammelten Post eines Fahrers sei eine verdächtige Substanz entdeckt worden, sagte eine Unternehmenssprecherin gestern. Da man nicht habe wissen können, aus welchem Straßenbriefkasten die Substanz stammte, seien alle in Frage kommenden Postkästen vorsorglich versiegelt und untersucht worden. Ein Ergebnis der Untersuchung lag gestern Nachmittag noch nicht vor.

Die Post hat indessen ihre Sicherheitsvorkehrungen in den Briefzentren der Region verschärft. Die täglich rund 4,5 Millionen Briefsendungen würden nun genauer untersucht, so die Sprecherin. Zu Einzelheiten wollte sie sich nicht äußern. „Wir wollen nicht, dass sich Terroristen oder Trittbrettfahrer diese Informationen zunutze machen.“

Berliner Unternehmen haben unterdessen die internen Sicherheitsvorkehrungen verstärkt. Dennoch gäbe es keinen Grund zur Panik, alle bisherigen Funde hätten sich als harmlos herausgestellt, hieß es. Bei der Bewag wurde mittlerweile ein so genanntes Sicherheitsteam mit Experten aus allen Unternehmensbereichen zusammengestellt. Diese Kollegen seien verstärkt sensibilisiert, heißt es dort.

Auch bei den Wasserbetrieben herrsche Vorsicht, sagte ein Unternehmenssprecher. „Aber niemand läuft jetzt mit Vollschutzkleidung durch die Poststelle.“ Es gebe keinen Grund zu Hysterie.

Ein ähnliches Bild bietet sich auch bei Schering. „Wir sind sehr aufmerksam, nicht nur bei der Post“, so ein Sprecher des Pharma-Unternehmens. Schließlich wisse niemand, mit welcher kriminellen Energie Terroristen vorgingen. Im Unternehmen gibt es je nach Gefährdungslage unterschiedliche Sicherheitspläne. Einzelheiten wollte der Sprecher nicht nennen. „Niemand verrät, wo er seinen Hausschlüssel versteckt.“ Auch beim Entsorgungsunternehmen Alba schaut man sich eingehende Postsendungen jetzt genauer an. „Wir dürfen uns aber nicht verrückt machen lassen“, so ein Sprecher. „Das wollen die nur.“