Wunderwuzi? Es ist bloß Lothar

Fast hätte der ehemalige Nationalspieler und „Möchtegern-Weltmann“ Lothar Matthäus die Wiener mit seiner Forschheit überrumpelt. Nachdem er einen gegnerischen Spieler übel beschimpft hat, dürften die Vorbehalte gegen ihn wieder wachsen

aus Wien MARKUS VÖLKER

Der Kulturschock sitzt ihm noch immer in den Knochen. Jenes für Österreich so typische Gefühl der Wurschtigkeit kollidierte heftig mit dem sturen Ehrgeiz des Deutschen. „Manche Spieler lassen sich die Bude von einem Einbrecher freiwillig ausräumen, und wenn sich der Typ auch noch zur Alten ins Bett legt, sagen sie nur: Passt scho“, versucht Lothar Matthäus die andere Einstellung, mit der er als Sportchef des SK Rapid Wien umgehen muss, in ein Bild zu fassen. Es ist keine Kaffeehausplauderei, zu der Matthäus ansetzt, wenn er über die Schwächen seiner Schützlinge spricht, es ist vielmehr eine Melange aus Anklage und Hoffnung. Der Erfolgshunger fehle allenthalben. „Die lassen sich zu schnell die Beute wegnehmen“, sagt er. Der Neue, von den Österreichern ob seines stupenden Vorwärtsdrangs gerne als Prototyp eines „Piefke“ bezeichnet, duldet keine lasche Haltung. Nicht Lothar.

Matthäus will vorleben, was es heißt, ein beutegieriger Profi zu sein. Am vergangenen Wochenende ist er dabei über das Ziel hinausgeschossen: Rapid spielte im Wiener Hanappi-Stadion vor 7.700 Zuschauern gegen den SV Salzburg. Es passierten einige unerfreuliche Dinge, die ihn später dazu veranlassten „sehr, sehr traurig“ zu sein und von einem Fußballspiel zu sprechen, das er so nie wieder erleben möchte. Matthäus beschränkte sich in der Darstellung der Geschehnisse auf die Leistung des Schiedsrichters, beklagte das unfaire Verhalten der Salzburger Fans, die Rauchbomben in den Kinderblock geworfen hatten, auch das harte Einsteigen des Gegners erwähnte er. Nicht zur Sprache kam indes seine Äußerung, die er dem honduranischen Nationalspieler Julio Suazo zugerufen hatte. Wie Zeugen versichern – einer von ihnen ist der Sekretär des SV Salzburg, Rudolf Mirtl – brülle Rapids Sportchef: „Du schwarze Sau, du bringst meine Spieler um.“ In seiner Erregung wurde Matthäus auf die Tribüne geschickt, nun drohen ihm Sperre und Geldstrafe.

Die Depression des Franken hatte danach wienerisches Format. Matt fixierte er in der Pressekonferenz eine Flasche Orangensaft, blickte finster drein und bemühte sich angestrengt, Haltung zu bewahren. Das positive Bild, das er in den letzten Wochen gezeichnet hatte und an dem die skeptische Mehrheit des Alpenlandes Gefallen fand, trübt sich nun wieder ein. Die Salzburger Nachrichten zogen bereits über den „Möchtegern-Weltmann“ her, der Tradition folgend, wonach heilige Kühe „made in Germany“ alsbald geschlachtet werden. Diesem Brauch versuchte Matthäus zu entkommen, indem er die Zweifler mit seiner Forschheit überrumpelte.

Die Strategie ging bisher auf. Ein paar Zaungäste, die das Training der Profimannschaft verfolgen, werden nicht müde zu betonen, er sei „spitze, ganz leiwand. Bei den schlamperten Wienern, die mir san“, meint einer der Kiebitze, „brauch’ ma so an Piefke.“ Der Fußball-Fachmann Marcel Reif schrieb unlängst über Matthäus, der auf dem Trainingsplatz bisweilen doch recht verloren wirkt: „Das bisschen unbeholfene Großspurigkeit sollte schnell als harmlos, fast rührend und amüsant entlarvt werden, es ist bloß Lothar.“

Selbst die Wiener Presse war von Matthäus eingenommen. Kommentierte der Sportchef des Kurier, Wolfgang Winheim, die Ankunft des Franken mit der Bemerkung, „was nutzt es, einen Matthäus zu holen, wenn der auch nur sagen kann, dass gute Spieler fehlen – da hätten sie den Platzwart genauso gut nehmen können“, so berichtet er nun, das Engagement des gelernten Raumausstatters aus Herzogenaurach sei „befruchtend“ für den österreichischen Fußball. Matthäus’ kosmopolitische Aura, kreiert in München-Mailand-New York, hebe den „gesellschaftlichen Stellenwert des Sports“. Aber, so räumt Winheim überaus verständnisvoll ein: „Er kann natürlich aus einem Ackergaul kein Rennpferd machen.“

Das Training ist seit dem Amtsantritt von Lothar Matthäus und Sozius Günter Güttler Anfang September verschärft worden, was zu Auseinandersetzungen führte. Der damalige Kapitän, Peter Schöttel, fühlte sich in seiner Mittagsruhe gestört, rebellierte – und ist mittlerweile als Trainer der Rapid-Amateure auf Altersteilzeit. Doch trotz der vermehrten Laufarbeit und des vielen Übens kommt Rapid in der Tabelle nicht so recht vom Fleck. Zurzeit liegt die Mannschaft auf Platz sechs, hinter Tirol Innsbruck, dem FC Kärnten unter der Präsidentschaft des Rechtspopulisten Jörg Haider oder dem Grazer AK.

Die Situation im Verein, wo Matthäus die „kleine Welt des Fußballs“ kennen lernt, sei „sehr, sehr schwierig“. Erst am 22. Oktober wird ein neuer Vorstand gewählt. Bis dahin trudelt der Klub „quasi führungslos“ dahin. „Wir müssen um jeden Schilling betteln“, sagt der 40-Jährige. Er selbst muss freilich nicht hausieren gehen, denn einer der zwölf „Premium-Partner“, die Rapid geblieben sind, die Bank Austria, finanziert den Trainer ohne Trainerschein mit 1,5 Millionen Mark pro Jahr. Auch der Einkauf von Mittelfeldspieler Gerhard Poschner kam nur zustande, weil einem vermögenden Wiener Teppichhändler seit der Ära Lodda das Geld wieder locker sitzt.

Sportchef Matthäus ist sich seiner Ausstrahlung bewusst, die er auf die Wirtschaft ausübt. „Der Name Rapid ist in Bewegung gekommen, die Werbung ist doch unbezahlbar“, glaubt er und walzt sein in Amerika angeeignetes Motto aus. „Reach for the Moon. Even if you miss it, you will land among the Stars“, verkündet Matthäus. Selbst seine Dauerpräsenz in Boulevard-Blättern, die die Gschpusis mit Janina Youssefian („Auf das Wort Teppichluder bin ich allergisch“) oder der Sekretärin Uli Kläger („Zwischen uns blüht irgendetwas“) in die Öffentlichkeit zerrten, scheint Rapids Umfeld zu goutieren.

Der 1899 gegründete Traditionsklub fühlte sich ohnehin geschmeichelt, redet der „Wunderwuzi“ (ORF) doch davon, er wolle den schlafenden Riesen Rapid wecken. Aber der ist, wie ein Beobachter weiß, derzeit nur vergleichbar mit „Zwerg Bumsti“, einer Figur aus dem österreichischen Kinderfernsehen, die zum Einschlafen anregen soll.