die herzenspolitikerin und der staatsmann

Kanzler Gerhard Schröder war vor einer Woche in New York. Grünen-Chefin Claudia Roth war vor ein paar Tagen in Pakistan. Schröder zeigte sich vom Anblick der Zerstörung tief berührt – und erklärte am nächsten Tag die Bereitschaft Deutschlands, militärisch aktiver zu werden. Roth zeigte sich von ihrem Besuch in der Krisenregion tief berührt – und forderte am nächsten Tag eine Pause der Bombardements auf Afghanistan. „Beides passt nicht zusammen“, stellte die Berliner Morgenpost gestern fest. Interessanter ist, wie unterschiedlich die beiden emotionalen Reiseberichte kommentiert wurden. „Der Bundeskanzler gab sich gestern staatsmännisch, und er machte vor dem Bundestag eine gute Figur“, schrieb die Berliner Zeitung vor einer Woche, „der Schock über die Terroranschläge (. . .) war ihm ebenso anzumerken wie die Entschlossenheit, im engen Verbund mit den Amerikanern dagegen vorzugehen.“ Der Besuch habe bei ihm „mehr ausgelöst als nur die routinehafte Betroffenheit des Berufspolitikers“, so der Kölner Stadt-Anzeiger. Die Westdeutsche Zeitung lobte „den in der Krise zum Staatsmann gereiften Kanzler“. Auch in der taz war nun zu lesen: „Aus dem Bundeskanzler wurde endgültig der Staatsmann Gerhard Schröder.“ Treffend fasste die Süddeutsche Zeitung die Wirkung seiner Reise zusammen: „Der Kanzler in schweren, ja in Kriegszeiten beim US-Präsidenten; der Kanzler bei den UN und der Kanzler am Ort des Schreckens im Angesicht der Trümmer – das ist Gerhard Schröder, der Staatsmann, dem sein Land vertrauen soll.“ Ganz anders das Echo auf Claudia Roth. Ihre Schlüsse aus dem Besuch in Pakistan seien unangebrachte „Ratschläge von der Zuschauertribüne“, schimpft nicht nur die Berliner Zeitung. Auch in der taz sieht der gestrige Kommentator die Grünen „in ihrer schlimmsten Erscheinungsform“. „Bei der sehr mitleidsvollen und für die Menschenrechte engagierten Claudia Roth kann dies kaum überraschen“, findet die Stuttgarter Zeitung. Und die Süddeutsche Zeitung stellt fest: „Die politische Arbeit der Parteivorsitzenden wird mehr als bei anderen auch von Emotionen geleitet.“ Der Tagesspiegel geht noch weiter: „Wenn diese Herzenspolitikerin eine Schwäche hat, dann die: Sie lässt sich manchmal von ihrer eigenen Betroffenheit hinwegtragen.“ LKW Kommentar SEITE 12 FOTOS: AP