Gegen westlichen kulturellen Rassismus

Bei den Islamisten der Türkei wird ein neues Selbstbewusstsein debattiert. Sympathie für den Kampf gegen USA

ISTANBUL taz ■ „Der schmutzige Krieg“ titelt in der Türkei die gemäßigt islamische Yeni Safak über die US-Angriffe auf Afghanistan. Mit jeder Bombe, die auf Afghanistan fällt, verschärft sich die Stimmung gegen den Westen. Das reichste Land der Welt bombardiert eines der ärmsten – das wird nicht nur von radikalen Islamisten als Ungerechtigkeit empfunden.

In der Türkei als dem einzigen islamischen Nato-Staat haben die Ereignisse des 11. September einen tiefen Schock ausgelöst. Dass es sich bei den Tätern um Muslime handeln soll, wird jedoch bezweifelt. Die radikalste islamische Tageszeitung Akit bringt fast täglich „Beweise“ für eine jüdische Verschwörung: Der Mossad habe den Anschlag als „Warnung“ an Washington verübt – schließlich habe Bush habe kurz davor gestanden, den palästinensischen Staat anzuerkennen. Und dass bisher nur zwei Leichen von Juden aus den Ruinen des WTC geborgen wurden, „spreche für sich“. Auch gemäßigte Publikationen wie die Aksiyon bezweifeln eine Urheberschaft Ussama Bin Ladens. „Man kann gegen die Taliban-Banditen sein, die den Islam verunstalten, und man kann sich gegen den von ihnen beschützten Bin Laden und seine Tyrannei aussprechen. Aber man muss nicht einen anderen Tyrannen unterstützen, der nun blind um sich schießt.“

Im Kampf der Religionen wird Stellung bezogen. Was man über den Gegner zu sagen hat, gibt einen Vorgeschmack auf den Diskurs der nächsten Jahre. „Der Westen lässt seit zwei Jahrhunderten die islamische Welt ausbluten. Nun spuckt er seinen ganzen Zorn heraus“, schreibt Ali Haydar Haksal in Milli Gazete, der Stimme von Milli Görüs, der größten islamistischen Strömung. „Was wir als amerikanische Kultur bezeichnen, ist ein Abklatsch von Zivilisation, der weit entfernt ist von ethischen Werten. Er tritt die Familie mit Füßen, lässt Sexualität grenzenlos ausleben, ist ungerecht ...“ Diese Kultur lasse die Muslime ihre eigenen Wurzeln vergessen.

Auch der bekannte islamistische Intellektuelle Ismet Özel fühlt sich vom Westen angegriffen: „Wir sind heute etwas klüger geworden. Das Licht am Ende des Tunnels ist nichts anderes als die Scheinwerfer des auf uns zurasenden Zuges.“ Und Ali Bulac, der profilierteste islamische Denker der Türkei, fühlt sich beinahe genötigt, die Taliban zu verteidigen: „Ich habe Hochachtung vor diesen Frauen, die in ihren Schleiern würdig und gläubig ihr Leben behaupten.“ Er warnt: „Wir dürfen uns dem kulturellen Rassismus nicht anschließen.“

Was ist also zu tun? Der Leitartikler der Yeni Safak, Ahmet Tasgetiren, vertritt die Meinung der Mehrheit der türkischen Islamisten: „Wir brauchen einen weltweiten Islamrat.“ Dieser müsse den Muslimen eine zentrale Orientierung geben und in ihrem Namen sprechen können.

In der Türkei kämpfen Islamisten seit Jahren auf parlamentarischem Wege um die Anerkennung islamischer Sensibilitäten im öffentlichen Raum. Auf der anderen Seite stehen die Laizisten, die gegen jedes sichtbare Zeichen von Glauben mit einer Inbrunst kämpfen, die an einen entgegengesetzten Fanatismus grenzt: Studentinnen mit Kopftüchern werden nicht in die Universitäten gelassen, Gläubige auf einfachen Verdacht hin aus dem Staatsdienst entlassen. Türkische Muslime befürchten jetzt einen globalen Antiislamismus. „Es ist schlimm genug, dass in vielen islamischen Ländern prowestliche Unrechtsregimes ihr eigenes Volk unterdrücken“, sagt Ayse, die ihr Medizinstudium an der Istanbuler Universität mit einer Perücke statt ihres Kopftuchs fortsetzt. „Aber wenn wir nun weltweit bekämpft werden, gibt es bald keinen Platz mehr, wo wir mit unseren Kopftüchern leben können. Das bedeutet wirklich Krieg.“ DILEK ZAPTCIOGLU