Wahrheitssuche als Farce

■ Andreas Maier liest aus seinem Debutroman „Wäldchestag“

Wie lustig ist eigentlich Thomas Bernhard? Nicht ganz leicht zu entscheiden. Oder vielleicht doch: Nicht zuletzt zwei filmische Dokumentationen eines Interviews mit Bernhard auf Mallorca, die vor kurzem auch in Bremen zu sehen waren, zeigten einen – wenigstens zeitweilig – sehr entspannten und humorvollen Autor. Thomas Bernhard auf Malle. Allein die Vorstellung! Und auch viele seiner Texte sind (neben vielem anderen) – saukomisch. Merkwürdig, bei der Beschreibung des einen Dichters mit einem anderen zu beginnen. Doch das hat sich der 1967 in Bad Nauheim geborene Andreas Maier, um den es hier eigentlich geht, selbst zuzuschreiben. Beziehungsweise: Er hat es sich schon selbst zugeschrieben, diesen Vergleich mit dem granteligen langjährigen Lieblingsfeind der österreichischen Alpenrepublik. „Wäldchestag“ heißt das Debut von Maier, und dieses knapp dreihundert Seiten dicke Anti-Idyll lässt einen sofort an Thomas Bernhard denken. Das ist aber nicht das Ungewöhnliche, denn der Bernhard-Apologeten sind viele. Das Ungewöhnliche ist, dass der junge Autor nicht vom Schatten des Älteren geschluckt wird.

Maier gelingt es aller Monotonie zum Trotz und in einer unglaublich spröden Sprache, ein dennoch ebenso unglaublich unterhaltsames Buch zu schreiben. Das beginnt schon mit dem Vorsatzblatt: „Zur Vorlage an die Kommission zur Bewilligung von Kuren auf Beitragsbasis der hiesigen Kassenstelle“, steht da. Und ich habe, ehrlich!, keine Ahnung, was das denn soll.

Oder vielmehr ist „Wäldchestag“ durch eben diesen irritierenden Einstieg eine einizige Schlusspointe, die viel mit einer dramaturgisch ausgefeilten Filmkomödie oder mehr noch mit einer brillianten Sitcom-Episode zu tun hat. Alles entpuppt sich als die Nacherzählung eines Antragsformulars, beziehungsweise die Wiedergabe desselben in indirekter Rede. Maier, dem das Image des scheuen, den Literaturbetrieb so gut es geht meidenden Autors vorauseilt, konfrontiert deb Leser mit Wiedergaben von Wiedergaben von Wiedergaben.

„Wäldchestag“ spielt im hessischen Kernland, in einem Provinzkaff. Der Naturkundler und Ornithologe Adomeit, der von den einfachen Menschen naturgemäß allein als schräger Vogel wahrgenommen werden kann, wird zu Grabe getragen. Opfer eines Gewaltverbrechens? Die Gerüchteküche brodelt auf's Herrlichste, keiner lebt hier, der sich nicht auf die eine oder andere Weise beteiligen würde. Am Ende zweifelt auch Schossau, der detektivisch vorgehende Erzähler so sehr an der Gültigkeit seiner Beobachtungen, dass die Suche nach der Wahrheit zur Farce gerät. Schossau verfasst den eigenen Bericht „zur Vorlage...“ im Konjunktiv.

Der Erstling „Wäldchestag“ lässt sich auf viele Arten lesen. Als Allegorie auf eine Gesellschaft, die der Fülle von Informationen, die sie ja selbst produziert, nicht mehr Herr wird. Als ironisch-liebevoller Bick auf das Genre der Dorfgeschichte, als gelungene erkenntnistheoretische Fingerübung. Oder schlicht als Panoptikum durchgedrehten und immer weiter durchdrehenden Denkens, Fühlens und Handelns der beschriebenen Figuren. Vor allem aber ist es ein erstaunlich leichtes Buch, was vielleicht daran liegt, dass es Maier gelingt, seine Detailverliebtheit, den Blick für durchgeknallt Skurriles mittels einer beeindruckend souveränen Dramaturgie zu bändigen. Tim Schomacker

Andreas Maier liest morgen, 19. Oktober um 20 Uhr in der Stadtwaage, Langenstraße 13 aus „Wäldchestag“.