„Vehement verzettelt“ und viel verfolgt

Die große Hatz ist eröffnet: Wie die rheinischen Medien den Abschuss von FC-Trainer Ewald Lienen vorbereiten

KÖLN taz ■ Manches Mal, wenn wieder Kritisches oder Bösartiges über ihn in den Zeitungen steht, hat Kölns Trainer Ewald Lienen gesagt: „Ach, ich lese das nicht.“ Ob es stimmt – niemand weiß es. In jedem Fall ist Leseunlust ein üblicher kalkulierter Schutzreflex: Man müsste ja Stellung beziehen zu Vorwürfen, Unterstellungen und abenteuerlichen Indizienketten, die eigenen Worte würden erneut Munition für rhetorische Giftattacken sein.

Diese Woche möchte man dem studierten Pädagogen und ehemaligen Friedensaktivisten Ewald Lienen (47) wünschen, er wäre Analphabet. Die Stimmung gegen ihn hatte sich lange vor dem sonntäglichen 0:4-Debakel gegen Wolfsburg aufgeladen. Selbst der Kölner Stadtanzeiger titelte drohend: „Wehe, wenn . . .“ Jetzt hieß es: „Ohne Konzept dem Abgrund entgegen“, Lienen habe mit der Aufstellung „in den Mülleimer gegriffen“. „Bei aller Wertschätzung“ für ihn, hieß es bigott, bald müsse Schluss sein. Der Bonner Generalanzeiger sekundierte spöttisch, er habe sich „vehement verzettelt“. Die Hatz ist eröffnet. So richtig tobt der Boulevard. Der Kölner Express („FC zum Heulen“) meldet, das 0:4 sei eine „Beerdigung erster Klasse“ gewesen. Und: „Für dieses Chaos ist er verantwortlich“, wegen der „hanebüchenen Aufstellung“. Die nach mäßigem Saisonstart verunsicherten Spieler begingen üble Stellungs- und Abspielfehler. Warum? „Lienen ließ die Abwehr ins Verderben rennen.“ Die Kölner Ausgabe von Bild fragt schlagzeilend auf Seite 1 in aller hauseigenen Scheinheiligkeit: „Wann fliegt Lienen?“ Das Spiel sei „die Bankrotterklärung“ gewesen dank eines „Lienen, der nur noch hilflos wirkt“. Billigerweise instrumentalisiert das Springer-Blatt die Fans als Sekundanten. Es hätten „100 wütende Fans das Marathontor belagert“ und Lienens Rausschmiss gefordert: „Erster Fan-Aufstand.“

Beim Problem Lienen kommt Grundsätzliches zusammen. Als sperrige Person und vermeintlich spröder Querkopf wird er vielen nie ein Freund sein. Altmodisch und „manchmal oberlehrerhaft“ (Stern) wirkt er heute, wenn er Begriffe wie Respekt, Würde, Loyalität und Achtung vor sich herträgt. Und er kungelt, soweit bekannt, nicht mit den Medien, schon gar nicht mit Springers Kampfgazetten.

Im Vorjahr spielte der Aufsteiger am Limit: Platz zehn, zeitweilig schien die Elf auf Uefacup-Kurs. Nun rächt sich das Zuviel an Erfolg. Samstag spielt der FC ausgerechnet in Rostock: klar, das Superduper-Schicksalsspiel an alter Wirkungsstätte.

Der Stadtanzeiger schrieb gestern kryptisch: „Jetzt ist die Zeit des Krisenmanagements gekommen, die Zeit der Plattitüden, Exempel, Psychospielchen. Die sportliche Führung des 1. FC Köln aber bleibt entgegen der Branchentheorie ihrer Auffassung treu, dass sportliche Probleme alleine durch die Folge von Analyse und Konsequenz zu lösen seien.“ Was mag das bedeuten? Analyse abschaffen? Denkverbot? Soll sich Lienen, psychospielerisch, als Prinz Karneval verkleiden und Belohnungskamelle werfen bei schönen Flanken?

Im Vorjahr zitierte der Express einmal Gattin Rosi mit der launig-harmlosen Bemerkung, wenn Ewald daheim beim Rommee verliere, „brüllt er wie ein Ochse“. Lienen regte sich darüber tierisch auf: „Rosi kann das gar nicht gesagt haben, weil es nicht stimmt.“ Und: „Ich brülle höchstens, wenn ich so einen Mist lese.“ Aber dann, bitte, „wie ein Stier und nicht wie ein Ochse . . .“ Anschließend referierte Vielsprecher Lienen länglich über Methoden des Boulevard, deren Vernichtungsstrategien und Tricks. Nur bitte: keine Details schreiben. Andere würden es lesen. Mit höchstem Genuss. Und hätten Material für wunderbare neue Attacken. Bis der komische Besserwisser endlich weg ist und die Jäger darum streiten können, wer den Skalp verdient hat.

BERND MÜLLENDER