Razzien und Visa für Hochqualifizierte

Bei der EU-Einwanderungs- und Flüchtlingspolitik ziehen Italien und Deutschland an einem Strang und ernten Kritik

BRÜSSEL taz ■ Dienstagmorgen hatte der amtierende belgische Ratspräsident Guy Verhofstadt Innenminister und Sozialminister der Mitgliedsstaaten, dazu EU-Kommissare und hohe Beamte internationaler Flüchtlingsorganisationen nach Brüssel eingeladen, um zwei Tage darüber zu diskutieren, wie Migrationsströme künftig besser und menschlicher bewältigt werden können.

Zeitgleich stellte Verhofstadts Büro eine Meldung ins Internet: Vom 29. September bis zum 8. Oktober habe Europol Razzien an allen Schengengrenzen koordiniert, um Netzwerke für illegale Einwanderung zu zerstören. Die „Operation High Impact“ sei ein Erfolg gewesen: 1350 illegale Einwanderer seien aufgespürt worden, die größte Gruppe, 15 Prozent, aus Afghanistan.

So sehen Theorie und Praxis der EU-Flüchtlings- und Einwanderungspolitik aus. Viele fromme Wünsche und politische Fensterreden waren in Brüssel zu hören. Am ehrlichsten und in erstaunlicher Übereinstimmung legten Deutschlands und Italiens Innenminister ihre Interessen offen.

Deutschland plane bei der Arbeitsmigration ein strikt an der Nachfrage orientiertes System, erklärte Otto Schily. Höchstqualifizierte könnten mit erleichterten Aufnahmeprozeduren rechnen. Das Gerede vom „Braindrain“ sei ein Fehlschluss. Es gebe einen weltweiten Wettbewerb um die besten Köpfe. In Richtung auf Justizkommissar Vitorino sagte Schily: „Ich bin dagegen, dass die bewährte Drittstaatenregelung durch eine europäische Richtlinie ausgehebelt wird“. Deutschland schickt derzeit Asylbewerber, die aus einem sogenannten sicheren Drittland einreisen, dorthin zurück. Antonio Vitorino will dieses Prinzip für die EU nicht übernehmen.

Italiens Innenminister Claudio Scajola verlangte, dass Bewerber einen sicheren Arbeitsvertrag bräuchten, bevor sie eine Aufenthaltsgenehmigung beantragen könnten. Nur so könne die EU stabil bleiben und Einwanderer integrieren. Familienzusammenführung dürfe nur für engste Angehörige gelten.

Die meisten anwesenden EU-Parlamentarier und der Hohe Flüchtlingskommissar der UN, Ruud Lubbers, kritisierten die deutschen und italienischen Konzepte. Die EU sei mitverantwortlich für illegale Einwanderung, wenn sie keine politischen Angebote mache, sagte der UN-Beauftragte. Ein Teil der EU-Entwicklungshilfe solle für die soziale Integration der Immigranten aufgewendet werden.

Mehr Information über den Alltag in Europa, soziale Programme zur Bekämpfung der Fluchtursachen, Verlagerung der Antragsprozedur auf die Flughäfen der Heimatländer hielten fast alle Redner geeignet, um den Sog nach Europa zu bremsen. Angesichts der Nachrichtenlage scheint solcher Optimismus unangebracht: Die meisten Flüchtlinge kommen derzeit aus Afghanistan. DANIELA WEINGÄRTNER