Milzbrand-Angst hilft Bayer AG

Der Pharmakonzern Bayer erhöht in den USA die Produktion von Ciprobay-Tabletten um das Dreifache. Das Medikament ist das einzige dort zugelassene Anti-Milzbrand-Mittel

BERLIN taz ■ So schnell kann es gehen: Gestern war Bayer noch wegen des Lipobay-Skandals in aller Munde. Heute gilt der Pharmakonzern vielen verängstigten Amerikanern als Retter vor Milzbrand.

Einerseits: Noch in diesem Jahr wollen zahlreiche Lipobay-Geschädigte gegen den Konzern eine Sammelklage einreichen und Schadensersatzzahlungen erzwingen. Ende August hatte Bayer den Cholesterin-Senker Lipobay vom Markt nehmen müssen, nachdem er mit mehr als 50 Todesfällen und über tausend Fällen von Muskelschwund in Verbindung gebracht worden war. Ein gewaltiger Schaden für das Image von Bayer. Über tausend Stellen will der Konzern wegen der Einstellung der Lipobay-Produktion abbauen.

Andererseits: Zurzeit interessieren sich die Menschen nicht für Lipobay, sondern für Ciprobay, ein so genanntes Breitband-Antibiotikum, das gegen alle möglichen bakteriellen Infekte eingesetzt werden kann. Dank der grassierenden Milzbrand-Panik in den USA brummt der Absatz. Zahlreiche Amerikaner lassen sich derzeit von ihren Ärzten entsprechende Rezepte ausstellen.

Bayer profitiert davon, dass Ciprobay in den USA seit 1999 das einzige von der Federal Drug Administration zugelassene Antibiotikum gegen diese bisher eher seltene Krankheit ist. Kaum wurden die ersten Fälle von Milzbrand-Infektionen bekannt, kündigte der Leverkusener Konzern an, die zentral in Deutschland laufende Produktion des Ciprobay-Wirkstoffs zum 1. November um 25 Prozent zu erhöhen. Zudem will das Unternehmen in Amerika die Tablettenproduktion verdreifachen, um für die nächsten drei Monate 200 Millionen Ciprobay-Tabletten zur Verfügung stellen zu können.

Erst vor wenigen Tagen beantragte der US-Gesundheitsminister Tommy G. Thompson beim Kongress zusätzliche 1,5 Milliarden Dollar für die Bekämpfung von Bioterrorismus. Mehrere hundert Millionen Dollar davon würden benötigt, um die Vorräte an Medikamenten wie Ciprobay aufzustocken. Dies dürfte Bayer erhebliche Umsatzsteigerungen bescheren. Allein im Jahr 2000 machte der Konzern mit Ciprobay einen Umsatz von 1,785 Milliarden Euro. Das Antibiotikum war damit für Bayer bei den Medikamenten der wichtigste Blockbuster. Zum Vergleich: Bei dem vom Markt genommenen Medikament Lipobay betrug der Umsatz 636 Millionen Euro.

In Deutschland hat sich die Nachfrage nach Antibiotika laut Bayer nicht wesentlich erhöht. „Das ist eher ein amerikanisches Phänomen“, sagte eine Sprecherin. Verschiedene Ärzteverbände haben die Bevölkerung inzwischen dazu aufgerufen, keine Antibiotika zu horten. Die vorbeugende Einnahme sei nicht nur teuer, sondern auch gefährlich. ANDREAS LAUTZ