Vom Dreizack gepiesackt

Krokodilesk lauert der FC Barcelona in der Champions League auf seine Torchanchen, spielt nach trigonometrischen Vorgaben und schlägt Bayer Leverkusen trotz kurzen Schlummers mit 2:1

aus Barcelona MATTI LIESKE

Bei der Betrachtung von zwei Champions-League-Spielen in Folge stellt sich erneut die vieldiskutierte Frage, ob es tatsächlich nötig ist, in der ersten Runde die stolze Zahl von 32 Mannschaften ins Rennen zu schicken. Die Antwort ist ein klares Ja. Man braucht die Schalkes und Mallorcas, um den Unterschied erkennen und würdigen zu können, um ein Match wie das 2:1 des FC Barcelona gegen Bayer Leverkusen in seiner ganzen Klasse und Vielfalt schätzen zu können. Ein Match, bei dem Ballverluste nicht Gestümper und Ratlosigkeit geschuldet sind, sondern durch den Druck und die exquisite Abwehrarbeit des Gegners entstehen, Torchancen nicht durch horrende Schnitzer der Verteidiger zustande kommen, sondern prachtvoll herauskombiniert sind.

Würden Krokodile Fußball spielen, dann täten sie das wahrscheinlich so wie der FC Barcelona. Kühl, reglos und fast schläfrig den Ball in den eigenen Reihen halten, aber nicht aus Ratlosigkeit, wie etwa bei der deutschen Nationalmannschaft, sondern immer auf der rastlosen und scharfsichtigen Suche nach der winzigen Lücke im Abwehrgefüge des Kontrahenten. Sobald diese erspäht ist, geht alles blitzschnell, und ehe sich der gegnerische Torwart, der sich gerade noch weitab vom Geschehen in mutterschoßartiger Sicherheit wiegte, versieht, steht schon ein Kluivert, Saviola oder Rivaldo mit dem Ball am Fuß vor ihm. Barcelona hält sich nicht lange damit auf, den Ball durchs Mittelfeld oder über die Außenbahnen zu schleppen, die Pässe kommen meist direkt in den berüchtigten „Dreizackangriff“, der nach Monaten der Unvollständigkeit, die Figos Weggang zu Real Madrid verursachte, mit dem 19-jährigen Argentinier Javier Pedro Saviola sein fehlendes Glied gefunden zu haben scheint.

„Das klappt immer besser mit den dreien“, freute sich Trainer Carles Rexach, dessen Problem im Moment eher der durch Verletzungen und viele Reisen zur brasilianischen Nationalmannschaft ausgelaugte Rivaldo ist. Dieser ist weit von seiner gewohnten Effektivität entfernt, verlor gegen Leverkusen oft in guter Position den Ball und ging nach 80 Minuten sichtlich frustriert vom Feld. Immerhin hatten die Beschwörungen in der Presse gewirkt und die Zuschauer verzichteten darauf, Rivaldo auszupfeifen, wie zuletzt beim Match gegen Lyon. „Es ist mir völlig unverständlich, wie das eigene Publikum einen Fußballer schmähen kann, der in der ganzen Welt so hoch angesehen ist“, staunte der in diesen Dingen unerfahrene Saviola, und Kapitän Luis Enrique klatschte demonstrativ Beifall, als der Brasilianer am Mittwoch das Spiel verließ. Das Publikum fiel ein, der Schulterschluss zwischen Mannschaft und Medien hatte funktioniert.

Das war in den letzten Jahren nicht immer so, doch im Moment ist ungewohnte Ruhe eingekehrt in Barcelona. Die Mannschaft präsentiert sich bisher im Stile eines Titelkandidaten und mit Carles Rexach hat sie einen Trainer, der eine völlerartige Akzeptanz in der Stadt genießt. Er ist ein Urgestein des Vereins, alter Mitstreiter des verehrten Johan Cruyff, erst auf dem Platz, dann als Assistenztrainer, und einer, der fließend Katalanisch spricht. Die nationalistischen Fans und Medien sind überglücklich, dass die Zeit von Leuten wie Venables, Robson oder Van Gaal endlich vorbei ist und der Niederländer am Mittwoch dort saß, wo er ihrer Meinung nach hingehört: auf der Tribüne, beim freundlichen Plausch mit Ex-Präsident Nuñez.

Leverkusens Trainer Klaus Toppmöller war ein hohes Risiko eingegangen, als er dem genialischen Dreiersturm der Katalanen lediglich eine Dreierkette, temporär verstärkt durch Ramelow, entgegenstellte. „Ich denke, wir haben die Stars von Barcelona gut im Griff gehabt“, behauptete er hinterher, was Kollege Rexach naturgemäß und korrekt anders sah. Beim 1:0, das Kluivert nach überfallartigem Alligatorenangriff und abgefeimtem Pass von Saviola schoss, wurde die Bayer-Defensive ausgezaubert, auf ähnliche Weise gab es noch weitere dicke Chancen. „Wir hätten das Spiel vor der Halbzeit und kurz danach entscheiden müssen“, sagte Rexach.

60 Minuten beherrschten die Gastgeber das Match und führten mit 2:1, doch dann geschah, was Krokodilen nie wirklich, dem FC Barcelona aber häufiger widerfährt. Die Mannschaft fiel in Schlummer. So hatte sie schon das Hinspiel in Leverkusen und das Ligamatch bei La Coruña verloren, zuletzt gegen Valencia nur 2:2 gespielt. „Unsere drei Verteidigungslinien sind auf jeweils fünfzehn Meter zusammengerückt“, gab Rexach zu, führte dies aber völlig zu Recht auf die imposante Leistung der Leverkusener zurück, die „Manndeckung über das ganze Feld“ gespielt hätten, noch offensiver wurden und die letzte halbe Stunde den gegnerischen Strafraum belagerten, ohne allerdings zu klaren Chancen zu kommen. „Wir hingen in den Seilen“, gab Rexach zu und machte, ähnlich wie der inzwischen entlassene Bernd Krauss beim RCD Mallorca, den engen Spielplan für die Müdigkeit einiger Akteure verantwortlich.

„Wir hätten das Unentschieden verdient gehabt“, sagte ein enttäuschter Toppmöller nach der ersten Saison-Niederlage – abgesehen vom Ligapokal gegen Hertha – und trauerte dem entgangenen Punkt in der wieder spannend gewordenen Gruppe F nach. Dann aber schwoll seine Brust ein gehöriges Stück an und stolz verkündete er, dass man immerhin „pari“ aus dem Duell mit dem edlen und großen FC Barcelona herausgegangen sei. Und der ist ein klarer Favorit für den Gewinn der Champions League, auch wenn Carles Rexach ahnt: „Wir werden noch öfter so leiden müssen.“