Erstes Designerbaby in Großbritannen

Britische Eltern bekommen Retortenbaby, um ihren an Leukämie erkrankten Sohn zu retten. US-Reproduktionsmediziner wählten aus elf befruchteten Eizellen einen genetisch passenden Embryo aus

Eine „Sensations“-Nachricht erreicht uns von der Insel: Noch in diesem Jahr, so verheißt die Londoner Tageszeitung The Guardian, werde in einer kleinen britischen Stadt das erste europäische „Designerbaby“ zur Welt kommen. Das erwartete Kind sei im Reagenzglas gezeugt worden, um einen bestimmten Zweck zu erfüllen: Körpersubstanzen des Neugeborenen könnten nach Einschätzung von Reproduktionsmedizinern einmal das Leben des vierjährigen Bruders retten helfen, falls dieser erneut an Leukämie erkranke. Als potenzielles Therapeutikum sollen Blut bildende Stammzellen dienen, die aus dem Nabelschnurblut des Neugeborenen isoliert, anschließend eingefroren und bei Wiederauftreten der Leukämie auf den Bruder übertragen werden sollen. Allerdings ist ungewiss, ob die Mission im Ernstfall überhaupt funktionieren wird: Kein Mediziner kann garantieren, dass sich das Blut des Neugeborenen mit dem Blut des Bruders vertragen wird.

Wird das erwartete Retortenbaby, dessen Eltern anonym bleiben wollen, tatsächlich geboren, verdankt es seine Existenz einer gezielten genetischen Embryonen-Auslese, die in Großbritannien – wie in Deutschland übrigens auch – bisher gesellschaftlich nicht erwünscht und daher gesetzlich verboten ist. Die Umgehung der Rechtslage gelang dem britischen Paar mit Hilfe US-amerikanischer Mediziner. In Chicago ließ man eine künstliche Befruchtung vornehmen, wodurch elf Embryonen entstanden, die allesamt genetisch getestet wurden. Mittels dieser Präimplantationsdiagnostik (PID) sei derjenige Embryo ermittelt worden, dessen Gewebemerkmale am besten zu denjenigen des von Leukämie genesenen vierjährigen Sohnes passten. Anschließend wurde der ausgewählte Embryo in die Gebärmutter der Auftraggeberin übertragen, die übrigen Embryonen wurden vernichtet.

Weil die Britin trotzdem nicht schwanger wurde, ließ sie die Prozedur wiederholen. Der zweite Versuch, für den erneut elf Embryonen erzeugt und genetisch getestet wurden, führte dann zur erhofften Schwangerschaft; die gesamte Behandlung soll umgerechnet fast 100.000 Mark gekostet haben.

Das britische „Designerbaby“, das nun bereits pränatal Schlagzeilen macht, wird nicht das erste sein: Erhebliche Medienresonanz hatte auch die Geburt von Adam Nash begleitet, der im August 2000 in Minneapolis, USA, entbunden worden war, um sich nach dem Willen der Eltern anschließend als „Stammzellspender“ für seine an Fanconi-Anämie erkrankte Schwester nützlich zu machen.

Gleichwohl schreibt der Guardian nun von einem „Präzedenzfall“, der die Debatte um die gezielte Überprüfung und Selektion von Embryonen wohl weiter anheizen werde. Das kann passieren, auch in Deutschland. Zwar ist die PID hier zu Lande verboten, doch sie hat einflussreiche BefürworterInnen, nicht nur in der Ärzteschaft, sondern auch in der Bundesregierung, allen voran Bundeskanzler Gerhard Schröder und die Ministerinnen Edelgard Bulmahn und Ulla Schmidt.

Erst einmal eingeführt, wird sich die PID kaum auf mehr oder weniger spektakuläre Einzelfälle eingrenzen lassen. Denn im Hintergrund stehen eugenische, finanzielle und auch geschmackliche Interessen, die eine breite PID-Anwendung mittelfristig wahrscheinlich machen. Offen angesprochen wird dies gelegentlich in Statements aus dem Vorreiterland USA. „Es ist kosteneffizient“, rechnete zum Beispiel der US-Reproduktionsmediziner William E. Gibbons vor, „2.000 bis 3.000 Dollar zusätzlich zu den Kosten einer künstlichen Befruchtung für die PID zu zahlen, wenn ich dadurch die Einpflanzung eines Embryos mit Mukoviszidose vermeiden kann, der später sehr hohe Pflegekosten verursachen würde.“

Selbst die gezielte Geschlechtsauswahl mittels PID ist zumindest in den USA für diverse MedizinerInnen kein Tabu mehr. Das gilt auch für John Robertson. Der Vorsitzende der Ethikkommission der Fachgesellschaft der US-amerikanischen Reproduktionsmediziner hat die Geschlechtswahl Ende September in einer schriftlichen Stellungnahme gebilligt. Nachgefragt hatte der Arzt Norbert Gleicher, der in Chicago und New York neun Fruchtbarkeitskliniken betreibt. Postwendend erklärte Gleicher: „Wir werden das sofort anbieten. Wir haben eine Liste von Patientinnen, die dies wünschen.“ Robertsons Votum ist in Fachkreisen auch auf Kritik gestoßen, im Januar soll die Ethikkommission darüber noch einmal eingehend diskutieren. KLAUS-PETER GÖRLITZER