Gen-Patente blockieren Forschung

Experten stritten auf einer Anhörung der Rechtsausschusses darüber, ob Gene oder Gensequenzen patentiert werden dürfen. Während die Industrie für einen umfassenden Stoffschutz eintritt, fordern Kritiker eine Einschränkung des Patentschutzes

von WOLFGANG LÖHR

Der Forschungsstandort Deutschland ist wieder einmal in Gefahr. Wenn die Umsetzung der europäischen Biopatent-Richtlinie weiter verzögert werde, sei die „hoffnungsvolle Aufholjagd der Biotechnologie in unserem Land“ gefährdet, warnt der Verband der Forschenden Arzneimittelhersteller (VFA). Für den VFA, der die großen in Deutschland produzierenden Pharmaunternehmen vertritt, sind umfassende Patente für biotechnologische Erfindungen „eine „wichtige Voraussetzung“ für die positive Entwicklung der Industrie.

Anlass für die Warnung war eine Anhörung des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages. Der bei der Umsetzung der Richtlinie in ein nationales Gesetz federführende Ausschuss hatte für Mittwoch zahlreiche Experten zu einer Anhörung geladen. Auf der Tagesordnung stand der von Justizministerin Däubler-Gmelin (SPD) dem Bundestag vorlegte Entwurf für ein deutsches Biopatentgesetz. Vor allem die Frage, wie umfassend der Patentschutz bei Genen oder Gensequenzen sein dürfe, interessierte den Rechtsausschuss.

Für die Industrievertreter ist die Frage bereits geklärt. „Der Stoffschutz muss absolut sein“, forderte Thomas von Rüden, von der Münchener Biotechfirma MorphoSys, auf der Anhörung. Sofern eine biotechnologische Erfindung die allgemeinen Patentierungsvoraussetzungen erfülle, müsse ein umfassender Verwertungsschutz auch für isolierte Gene, selbst für menschliche, möglich sein.

Praktisch bedeutet das: Wer als erster ein Gen zum Patent anmeldet und eine noch so vage mögliche kommerzielle Anwendung mit angibt, hat das alleinige Verwertungsrecht. Selbst wenn ein anderer Forscher oder ein anderes Unternehmen später bisher nicht bekannte Funktionen oder Anwendungen entdeckt, kann er diese nicht ohne Zustimmung des Patentinhabers verwerten.

Dieses als „Stoffschutz“ bezeichnete Prinzip wird bei Patenten aus dem Bereich der „allgemeinen Chemie“ seit langem schon angewandt. Der MorphoSys-Vertreter fordert, dass auch bei Gen-Patenten so verfahren werden müsse. Eine „Diskriminierung biotechnologischer Erfindungen gegenüber chemischen Erfindungen“ wäre, so von Rüden, weder im Einklang mit völkerrechtlichen Vorschriften noch plausibel noch akzeptabel.“

Wohin dies führt zeigt das umstrittene vom Europäischen Patentamt (EPA) in München an die US-Firma Myriad-Genetics vergebene Patent für das Brustkrebs-Gen BRCA1. Bereits vor der Entdeckung des Gens durch Myriad-Genetics war bekannt, auf welchem Chromosomenabschnitt die möglicherweise krebsauslösende Mutation zu finden sei. Myriad isolierte lediglich das Gen, bekam aber dafür die Verwertungsrechte für alle möglichen Anwendungen, sei es nun für Diagnosezwecke, zur weiteren Entwicklung von Therapien oder Arzneimitteln.

Hier zeige sich „deutlich“, warnt die grüne Europaparlamentarierin Hiltrud Breyer, „dass die Patentierung von Genen die Forschung neuer und nützlicher Medikamente blockiert und effektive Diagnose und Therapie verhindert“. Selbst dem Europäischen Parlament ging das zu weit. In einer Resolution spach es sich Anfang Oktober dafür aus, Einspruch gegen das Patent einzulegen. Zuvor schon hatte sich die Bundesärztekammer gegen das BRCA1-Patent ausgesprochen. Für die Ärztekammer sind Gene und Gensequenzen keine Erfindung und deshalb auch grundsätzlich nicht patentierbar.

Auf der Anhörung plädierte auch Lutz van Raden, Richter am Bundespatentgericht in München, dafür, die Reichweite des Stoffschutzes bei Patenten auf Gene oder Gensequenzen einzuschränken. Ginge es nach van Raden, dürfe der Stoffschutz ausschließlich die in der Patentschrift beschriebene Funktion abdecken. Andere von der ersten Anmeldung „nicht abhängige Erfindungen“ wären somit weiterhin möglich.

Auch Peter-Tobias Stoll vom Institut für Völkerrecht der Universität Göttingen sprach sich vor dem Rechtsausschuss für eine solche Einschränkung aus.

Vor wenigen Tagen erst hatte die Bundestagsabgeordnete Andrea Fischer ein Gutachten vorgestellt, das Stoll zusammen mit dem Direktor des Hamburger „Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht“, Rüdiger Wolfrum, für die Grüne Fraktion erstellt hatte. Darin wird unter anderem darauf hingewiesen, dass selbst das in dem Gesetzesentwurf von Däubler-Gmelin vorgesehene Forschungsprivileg, nach dem auch patentierte Erfindungen für die Forschung weiterhin zur Verfügung stehen, nicht greift.

Ihrer Ansicht nach dürften Forscher patentierte Erfindungen nur zur Überprüfung der in der Patentschrift angegebenen Funktionen nutzen. Gänzlich neue Forschungen dürften somit nur mit ausdrücklicher Zustimmung des Patentinhabers durchgeführt werden. Damit Forschung durch das Biopatentgesetz nicht verhindert werde, so Stoll auf der Anhörung, müsse folglich der Stoffschutz eingeschränkt werden.

In diesem Punkt besteht auch in der Grünen Bundestagsfraktion keine Einigung. Während die ehemalige Gesundheitsministerin Andrea Fischer sich der Argumentation von Stoll und Wolfrum angeschlossen hat, sprach sich die Abgeordnete der Grünen Monika Knoche gegenüber der taz grundsätzlich gegen Stoffpatente auf Gene und Gensequenzen aus: „Diese dürfen nicht patentiert werden, nur Prozess- oder Verfahrenspatente“ dürfe es geben, sagte Knoche. Die Gene müssten weiterhin frei verfügbar sein. Am besten wäre es, wenn die Gene zum „ gemeinsamen Erbe der Menschheit“ erklärt würden.