Hamburg startet mit erstem Verlust

Der neue Hamburger Senat erlebt seine erste Schlappe: Wagners Urenkelin Nike verzichtet auf das Kulturressort. Richter Schill wird stellvertretender Bürgermeister. CDU erkämpft sich fünf von elf Posten. FDP-Basis murrt. Offener Ausgang auf Parteitag

aus Hamburg SVEN-MICHAEL VEIT

Es hätte so gut laufen können. Gestern Mittag wollte Ole von Beust, designierter CDU-Bürgermeister in Hamburg, sein Kabinett vorstellen. Nach nur zweieinhalbwöchigen Verhandlungen mit der FDP und der Partei des Richters Ronald Schill schien am Mittwochabend die Koalition perfekt zu sein, welche am 31. Oktober die 44-jährige Herrschaft der SPD in der Hansestadt beenden soll. Doch dann fehlte plötzlich einer: Ausgerechnet Nike Wagner, eine von nur zwei Frauen im elfköpfigen Senat, ausgerechnet die als „kreativer Farbtupfer“ angekündigte potenzielle Kultursenatorin, sagte gestern früh telefonisch ab. Schmerzlich für von Beust, wie er einräumte. Die Urenkelin Richard Wagners begründete ihren Verzicht damit, dass „eine kreative, zukunftsweisende Kulturpolitik in Frage gestellt“ sei. Denn die von ihr geforderte Erhöhung des Hamburger Kulturetats fiel ebenso unter den Verhandlungstisch wie er Ausbau des ehemaligen KZs Neuengamme zu einer Gedenkstätte.

Die Rechtskoalition hatte beschlossen, ein Jugendgefängnis auf dem früheren KZ-Gelände zu belassen, dessen Verlagerung vom SPD-GAL-Senat beschlossen war. Die CDU, die diesem Plan erst am 5. September in der Bürgerschaft zugestimmt hatte, wollte nun nichts mehr davon wissen. Selbst Kritik von Paul Spiegel, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, konnte daran bislang nicht ändern. Für die 56-jährige Literaturwissenschaftlerin Wagner „keine Basis“ für eine Mitarbeit. Nun muss von Beust weitersuchen.

Ansonsten kann der 46-jährige Rechtsanwalt mit sich zufrieden sein. Gegen die politischen Neulinge seiner Koalitionspartner FDP und Schill-Partei hat sich der gewiefte Taktiker, der es im zweiten Versuch als CDU-Spitzenkandidat endlich auf den Sessel des Bürgermeisters geschafft haben dürfte, programmatisch und auch personell durchgesetzt: Fünf von elf künftigen Mitgliedern des Rechts-Senats stellt die Union, die bei der Hamburg-Wahl am 23. September 26,2 Prozent erreichte.

Die erstmals kandidierende Partei des gnadenlosen Amtsrichters Ronald Schill kam auf 19,4 Prozent und stellt dennoch nur drei Senatoren, die FDP (5,1 Prozent) nur einen: Ihr Parteichef Rudolf Lange, bislang Kommandant der Führungsakademie der Bundeswehr, soll das Hamburger Schulwesen auf Vordermann bringen. Hinzu kommen, so die Vereinbarung der drei Parteien, zwei Parteilose, die „von allen drei Partnern gemeinsam ausgesucht werden“. Der 33-jährige Jörg Dräger, Präsident der kleinen, aber feinen Hamburger Elite-Universität Northern Institute of Technology, wird Wissenschaftssenator, Nummer zwei hätte eben Nike Wagner sein sollen. Für die CDU kommen zwei Bundestagsabgeordnete aus Berlin an die Elbe zurück, um im Senat Platz zu nehmen: Der Finanzexperte Gunnar Uldall wird die Wirtschaftsbehörde leiten, Birgit Schnieber-Jastram übernimmt die Sozialbehörde und steht damit als bislang einzige Frau im Senat fest. Er halte „nichts von Geschlechterproporz“, sagt von Beust, Qualifikation sei ihm wichtiger. Und die ist bei Männern offenbar höher.

Zum Beispiel bei Roland Schill, der Innensenator und stellvertretender Regierungschef wird. Neben ihm rücken zwei politisch Unbekannte für die Schill-Partei in den Senat. Hauptmann Mario Mettbach wird Bau- und Verkehrssenator, der Anwalt und frühere Schill-Kommilitone Peter Rehaag ist künftig für Verbraucherschutz, Gesundheit und Umwelt zuständig. Die Absegnung der neuen Koalition durch Schill-Partei und CDU steht außer Frage.

Einzig die Liberalen könnten noch Ärger machen. Auf einer turbulenten FDP-Vorstandssitzung am Mittwochabend wurde das Verhandlungspaket mit lediglich 5:4 Stimmen bei 2 Enthaltungen gebilligt. Der Grund liberaler Unbill: Ein einziger Senatsposten ist der Partei zu wenig. Ob der FDP-Parteitag zustimmt, der für Montag anberaumt ist, gilt nicht als sicher.

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