Durchhalten bis zuletzt

Koalitionsdisziplin und US-Luftangriffe haben dem grünen Landesverband den Wahlkampf verhagelt

von ANDREAS SPANNBAUER

Sie kämpfen bis zur letzten Minute: Noch am Samstag, kurz vor Mitternacht, wollen die Grünen in den Prachtbauten der Hackeschen Höfe in Berlin-Mitte Stimmen fangen. Tatsächlich ist es für die Grünen fünf vor zwölf. Wenige Tage vor der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus hat sich der Bezirksverband Mitte bei grauem Oktoberwetter auf dem Hackeschen Markt aufgebaut. Ein grüner Luftballon baumelt verloren am Wahlstand, an dem Bundesgeschäftsführer Reinhard Bütikofer persönlich angetreten ist. Doch die meisten der Passanten reagieren gleichgültig; kaum einer lässt sich in ein Gespräch verwickeln. Gleich mehrfach wollen zwei junge Frauen einem Fußgänger Wahlaufrufe in die Hand drücken, die – in Anspielung auf Korruption! – Waschmittelwerbung ähneln.

Die Grünen wissen, was auf dem Spiel steht. Sechzehn verlorene Landtagswahlen liegen hinter der Partei. Seit sich Joschka Fischer vor knapp drei Jahren im ledernen Kabinettssessel zurücklehnte, ist ein ganzes Drittel der grünen Wählerschaft bundesweit abgewandert.

In der Endphase des Wahlkampfes jedoch zeigt man sich betont optimistisch. Wenn es am Sonntag gut läuft, freut sich der Berliner Landesvorsitzende Till Heyer-Stuffer vorab, „dann haben wir Rückenwind für die Bundestagswahl“. Auch Spitzenkandidatin Sibyll Klotz gibt sich kämpferisch: „In Berlin werden wir den Bundestrend brechen.“

„10 Prozent plus x“ verspricht Klotz immer wieder. Doch die Prognosen der Experten klingen dagegen düster. „Die Grünen werden Schwierigkeiten haben, ein zweistelliges Ergebnis zu bekommen“, warnt Richard Hilmer, Geschäftsführer von Infratest dimap. Die letzte Forsa-Umfrage verheißt mit einem Ergebnis von 9 Prozent auch nichts Gutes. 1995 erreichten die Grünen noch über 13, 1999 dann 9,9 Prozent. Bei der Konkurrenz von der PDS stichelt man längst: „Fragen Sie die Grünen mal, wie sicher ihre 10 Prozent sind.“

Für eine Ampelkoalition wird es knapp

Rechnerisch sind sie für ein Linksbündnis in der Hauptstadt ohnehin längst überflüssig. SPD und PDS verfügen zusammen über 53 Prozent; eine rot-rote Koalition haben die Sozialdemokraten bisher nicht ausgeschlossen. Auf keinen Fall, das haben die Grünen deutlich gemacht, wollen sie dann das fünfte Rad am Wagen sein. Selbst für die letzte Hoffnung, eine Ampelkoalition mit der FDP, würde es inzwischen mit zusammen 51 Prozent knapp.

Kein Wunder, dass im Wahlkampf die Nerven blank liegen. „Das schlaucht“, schilderte ein führendes Parteimitglied auf einer Wahlveranstaltung seine Befindlichkeit. Nach den Terroranschlägen in den USA legten die Grünen eine kurze Wahlkampfpause ein. Danach warfen sie ihre Kampagne radikal um: Der Kampf gegen Korruption, mit dem sich die Partei nach dem CDU-Spendenskandal als frische Kraft profilieren wollte, war verschwunden. Halbherzig versuchte man nach den Anschlägen, in der Sicherheitspolitik die Balance zwischen notwendigen Maßnahmen und dem Erhalt der Bürgerrechte zu finden. Der Wahlkampf habe sich „zu sehr um die harten Problemthemen herumgedrückt“, kritisiert die Bundestagsabgeordnete Franziska Eichstädt-Bohlig, die sich den grünen Landesverband „etwas offensiver und selbstbewusster“ gewünscht hätte.

Noch einmal verschärft hat die Situation der Gegenschlag der USA. „Das ist ein Wahlkampf, wie man ihn sich nicht wünscht“, gab Spitzenkandidatin Klotz genervt zu, nachdem am Vorabend die ersten Bomben auf Afghanistan gefallen waren. Was folgen sollte, war ein grüner Zickzackkurs par excellence. Acht Tage lang rechtfertigte Klotz die militärischen Angriffe der USA. Am neunten Tag, nach einer gleich lautenden Erklärung der grünen Bundesvorsitzenden Claudia Roth, forderte sie dann eine Einstellung des Bombardements.

Auch die Koalitionsdisziplin verwässerte das Profil der Grünen. So musste ausgerechnet der neue grüne Justizsenator Wolfgang Wieland, in der Opposition vehementer Verfechter der Bürgerrechte, die Einführung der Rasterfahndung verteidigen. Die Beteiligung am rot-grünen Übergangssenat verbot es auch, einen Oppositionswahlkampf zu führen. Für den Berliner Landesverband ist diese Situation besonders problematisch. Stets hatte man sich als linkes Aushängeschild der Grünen verstanden. Spitzenkandidatin Klotz profilierte sich 1999 als Gegnerin des Kosovokrieges; zuletzt verurteilte der Landesverband die Entsendung deutscher Soldaten nach Mazedonien.

Grüne Stammwähler sind schwer zu halten

Einen Spitzenkandidaten aus den Reihen der Bundestagsfraktion – im Gespräch war etwa der innenpolitische Sprecher und profilierte Realo Cem Özdemir – hat man in der Berliner Parteizentrale nicht zuletzt aus diesen Gründen entschieden abgewehrt. „Man hätte mit einer anderen Spitzenkandidatin mehr herausholen können“, heißt es nun in Kreisen der Bundespartei.

Im Endspurt des Wahlkampfes setzen die Berliner Grünen jetzt ganz auf die hohen Beliebtheitswerte des rot-grünen Übergangssenats. Dabei ist es gerade die Regierungsbeteiligung, die die Grünen nach Ansicht von Experten teuer zu stehen kommt. „Die Grünen sind zu einer stinknormalen und staatstragenden Partei geworden“, umreißt der Politologe Peter Lösche das Dilemma der ehemaligen Protestpartei. „Es wird schwer werden, einen Teil der grünen Stammwähler bei der Stange zu halten.“