„Das Land aus der Luft bearbeiten und dann schnell vorgehen“

Boris Gromow, letzter Befehlshaber der Sowjetarmee in Afghanistan, über Taktik und Anti-Terror-Allianz: „An den Terroristen werden wir uns noch lang die Zähne ausbeißen“

taz: Können die Luftschläge der Amerikaner in Afghanistan zum Erfolg führen?

Boris Gromow: Luftschläge können sehr effektiv sein, vor allem, wenn sie so massiv sind, wie jetzt die amerikanischen. Um aber Bin Laden zu treffen, braucht man Aufklärung und Spezialeinheiten. Um diese Einheiten abzusetzen, muß man erstmal die Grundlage schaffen, das heißt das Land aus der Luft bearbeiten. An der Stelle der USA würde ich die Bombardements noch zwei Wochen lang fortsetzen.

Wäre dann der Einsatz größerer Mengen von Bodentruppen eine richtige Strategie?

Nein, es ist zu kompliziert, große Kontingente von Bodentruppen dort hineinzuführen, sie zu versorgen, die Kommunikationswege aufrechtzuerhalten. Eine Straße muß mit einem Streifen von 10 Kilometer Breite gesichert werden. Das lehrt uns die Geschichte aller Kriege der Welt. Für einen Angreifer, braucht man fünf oder sechs Mann, die ihn versorgen. Auch die Truppen wieder herauszuführen, ist schwierig. 1989 habe ich da 140.000 Mann rausgebracht, ich weiß, was das heißt. Außerdem kostet das alles viel Zeit. Hier aber muß man schnell vorgehen, um die Vernichtung Bin Ladens und seines Netzwerkes zu erreichen. Dies kann nur durch Luftangriffe und den Einsatz von Spezialeinheiten, die aus der Luft abgesetzt werden, geschehen.

Glauben Sie, daß die USA mit ihren Militärschlägen die Unterstützung der afghanischen Bevölkerung gewinnen können?

Dieses Ziel verfolgen die USA jetzt gar nicht. Das ist in dieser Etappe nur sehr schwer zu verwirklichen. Aber in der nächsten Etappe, wenn es um die Rehabilitierung des Landes Afghanistans als ganzes geht, dann wird auch dieser Aspekt wichtig sein.

Wie sollte der Westen mit der Nordallianz umgehen?

Er muss sie unterstützen, trotz aller Widersprüche innerhalb der Allianz. In der gegenwärtigen Situation ist die Allainz der Verbüdnete des Westens. Wenn man nach dem Krieg wieder anffängt, ein politische Leben aufzubauen, müssen neben der Nordallianz auch die anderen Kräfte eingebunden werden.

Für wie stabil halten Sie die Anti-Terror-Allianz?

Ich halte die Allianz für stabil. An denen, die in solchem Ausmaß Terror betreiben und diesen barbarischen Akt am 11. September begangen haben, werden wir uns noch lange die Zähne ausbeißen. Daher muß diese Allianz stark und langlebig sein.

Was passiert mit der Allianz, sollten die Amerikaner ihre Angriffsziele ausweiten, zum Beispiel den Irak angreifen?

Sollte das der Fall sein, würde das nur im Rahmen einer internationalen Abstimmung erfolgen, das heißt auch mit Rußland.

Ist jetzt ein stärkeres Engagement Rußlands in Tschetschenien zu erwarten?

Das ist nicht zwangsläufig. Die derzeitige Taktik ist ja gerade, daß man keine militärischen Aktionen im großen Maßstab durchführt. Die neue Strategie, eine konzentrierte Vernichtung der Kämpfer herbeizuführen, war eine richtige Entscheidung.

Als Sie Afghanistan 1989 verließen und über die Brücke nach Usbekistan marschierten, wurden Sie dort von Ihrem Sohn mit einer Rose empfangen. Das war ja wohl ein Symbol für eine Niederlage. Womit werden die Amerikaner empfangen werden?

Da bin ich mit Ihnen überhaupt nicht einverstanden. Die Blumen waren kein Symbol der Niederlage, sondern der Beendigung des Krieges. Wir hatten damals nicht die Aufgaben zu siegen. Wenn man uns diese Aufgabe gestellt hätte, dann hätten wir gesiegt. Unsere Aufgabe war es, gewisse politische Ziele abzusichern. Wir haben das seinerzeitige Regime gestützt. Aber das heißt nicht, daß wir um den Sieg dort gerungen haben. Ich sage Gott sei Dank. Denn sonst hätte es ein noch viel größeres Blutbad gegeben. Von beiden Seiten. Es wären nicht nur 15.000 Menschen umgekommen, sondern viel mehr. In Afghanistan wäre alles vernichtet worden, es gebe heute weder Kabul und Jalalabad noch Kandahar. Interview: BARBARA OERTEL