Party im „Bollywood“

Musiker aus Surinam sind in Hollands Musikszene längst eine feste Größe. Doch die Stilvielfalt der Exkolonie harrt noch der Entdeckung: Ein Streifzug

Die Wurzeln heißen Kaseko und Kawina. Doch Rap und R’n’B versprechen Ruhm.

Das Zimmer bietet Ausblick auf eine echte Windmühle. Ansonsten ist die Atmosphäre im Produktionsbüro von Fra Fra Sound in Amsterdam-West nicht allzu holländisch. Dafür aber hektisch: Ständig klingelt das Telefon. Vincent Henar, der Kopf der Kapelle, hat alle Hände voll zu tun, um die vielen Aktivitäten seiner beiden Abteilungen, FraFraSound und FraFraSound-Bigband, zu koordinieren. Beide Gruppen sind schwer gefragt, und arbeiten fast ständig am eigenen Repertoire oder an neuen CD-Produktionen. Sie sind Surinams klingende Botschafter in den Niederlanden.

Angefangen hat das Kollektiv vor 21 Jahren – als Jazzband, die in ihrer Musik auch Elemente aus Surinam einfließen ließ. Die ehemalige Kolonie des niederländischen Königreichs, ein Kleinstaat an der Karibikküste, findet man nördlich von Brasilien. Doch die Musik aus Surinam findet man, im Unterschied zu anderen karibischen Stilen, bisher kaum in westlichen Plattenläden. Das liegt auch am Erbe der einstigen Kolonialmacht, das sich heute als Standortnachteil auswirkt: „Die englisch- und spanischsprachige Musik hat Anschluss an den Rest der Welt. Darum sind andere karibische Stile schneller ins internationale Geschäft gekommen“, sinniert Vincent Henar über die Gründe für die fehlende Bekanntheit der Musik aus Surinam. Außerdem hätten die Kolonialherren in den 350 Jahren ihrer Regentschaft nur wenig für die einheimischen Traditionen übrig gehabt. „Sie haben nie ein Konservatorium für die Kawina- und die Kaseko-Musik gegründet. Sie haben auf unsere Musik herabgesehen“, ärgert sich der Bassist darüber, dass Surinam es nie zu einer eigenen Musikschule gebracht hat, wie Kuba oder Jamaika. Erst nach der Unabhängigkeit wurde eine Universität errichtet.

FraFraSound pflegen nun das Erbe im Exil. Allerdings spielen sie vor allem Jazz – instrumentale Improvisation steht bei ihnen im Mittelpunkt. Im Sommer haben sie auf einer Tournee in Südafrika Kontakte mit Musikern geknüpft, mit denen man in Zukunft enger zusammenarbeiten möchte. So finden FraFraSound ihren Weg in die Welt.

In den Niederlanden haben sich Musiker aus Surinam schon längst einen festen Platz erobern können. So etwa der Glamour-Star Edgar „Boegroe“ Burgos, der im Osten von Amsterdam in einem äußerst unscheinbaren Reihenhaus wohnt, und dessen Band Trafassi mit ihrem Hit „Wasmasjien“ zum ersten Mal auch das holländische Publikum erreichte. „Begonnen haben wir als Band noch in Surinam. Doch nach der Unabhängigkeit im Jahre 1975 kam das politische Klima dort einer Diktatur gleich. Auch unsere erste Single wurde gleich verboten“, erinnert sich der Pionier. Mit der Unabhängigkeit setzte die Abwanderung vieler Fachleute ein, und auch viele gute Musiker verließen das Land. Seitdem tummeln sie sich in der holländischen Musikszene, in allen Sparten – sei es im Pop, im Jazz, im HipHop oder im R’n’B, die im westlichen Nachbarland eine stärkere Nähe zur US-Szene haben als in Deutschland.

Ein berühmter Spross der neuen Generation aus Surinam ist der Spaß-Rapper Def Rhymes aus Rotterdam, Hollands HipHop-Hauptstadt. 1999 landete er mit seinem Song „Doekoe“ ganz oben in den Charts. „Das Stück hat aber nichts mit unserer Musik zu tun – ganz und gar nichts“, schimpft der Jazzmusiker Ronald Snijders. „Das Einzige, was überhaupt nach Surinam klingt, ist das Wort ‚Doekoe‘ – das bedeutet in unserer Sprache ‚Geld‘. Der Rest ist einfach Mainstream-Rap. Aber mit Musik aus Surinam hättest du hier auch nicht den Schimmer einer Chance.“

Ronald Snijders muss es wissen: Er ist Sohn des Komponisten Eddie Snijders, eines Urvaters der Kaseko-Musik. Diese entstand Ende der Dreißigerjahre aus der Mischung von New-Orleans-Jazz und der lokalen Volksmusik. Das pumpende Herz des Kaseko ist die große Pauke, die den Beat und das Feeling bestimmt. Will man in Holland Kaseko in seiner ursprünglichsten Variante hören, so wendet man sich vertrauensvoll an Carlo Jones und seine Troubadours. „Wir spielen so wie früher, noch ohne Verstärker“, sagt der Bandleader. Die Popularität der Gruppe ist groß, die Nachfrage ungebrochen. So treten Carlo Jones und seine Troubadours trotz fortgeschrittenen Alters noch immer auf Straßenparaden auf, und immer wieder auf Geburtstagsfesten. Denn die sind undenkbar ohne Kaseko bis in die frühen Morgenstunden.

Ganz anders klingt Kawina: Dieser Stil errinert noch stark an die Herkunft der einstigen Sklaven, die diese Tradition mit sich brachten: Bisweilen ist die Grenze zu afrikanischer Musik kaum mehr zu ziehen. Kawina hat an einem gänzlich unerwarteten Ort neue Wurzeln geschlagen: Im Bijlermeer, der berüchtigten Trabantenstadt in Amsterdams Südosten, die als sozialer Brennpunkt regelmäßig für Schlagzeilen sorgt. Ausgerechnet hier pflegen Jugendliche der zweiten und dritten Generation ihre „Roots“: In einer Tiefgarage der riesigen Betonblöcke haben sie sich Übungsräume eingerichtet: Hier üben zwei der beliebtesten Kawina-Bands: La Rouge und La Caz. Sie spielen die Musik ihrer Urgroßeltern, die sich ursprünglich vor allem aus Percussion und Gesang zusammensetzt, und vermengen sie heute ganz natürlich mit elekrischem Bass und den wohl unvermeidlichen Keyboard-Melodien. Das Resultat klingt nach einer Kreuzung aus Kawina und R’n’B. Denn das, so hoffen sie, lässt die Kassen klingeln in MTV-Netherland.

Eine völlig andere Seite von Surinam spiegelt sich in Den Haag: „Bollywood“ steht hier, im Zentrum der Stadt auf einer platten Häuserwand, die Buchstaben kaum mehr zu erkennen. Mehr ein Platz für Eingeweihte, so scheint es. Tatsächlich ist es der beliebteste Treffpunkt der Jugend derzeit. Denn in Den Haag leben viele Einwanderer surinamisch-indischer Herkunft. Von der niederländischen Kolonialverwaltung wurden sie ursprünglich als Kontraktarbeiter geholt, hauptsächlich aus Nordindien. Im Gegensatz zu anderen indischen Gruppen in der Karibik, sprehen sie heute noch die Sprache ihrer Region, und aus der alten Heimat brachten sie einst weder Sitar noch Tabla mit, sondern die Instrumente ihrer Volksmusik Baithak Gana. Das religiöse Liedgut wird eigentlich im Sitzen gespielt, doch mit der Zeit haben sich die Sitten gelockert. Heute zeigt sich Surinams „Baithak Gana“ ähnlich tanzbar und fröhlich wie der Chutney aus Trinidad. Von indischer Zurückhaltung ist im „Bollywood“ jedenfalls wenig zu spüren. „Wir mixen am liebsten die Hits, die in der Karibik gerade angesagt sind, mit unserer eigenen Volksmusik oder mit Filmmusik aus Indien“, erläutert einer der DJs, für die sich Den Haag zum Mekka entwickelt hat. Zurzeit erfreut sich immer noch der Bubbling-Beat, Surinams Antwort auf den Dancehall-Reggae, großer Beliebtheit. Im „Bollywood“ wird er mit allem Möglichen gemischt, vor allem mit House.

Bunt ist auch das Publikum: Unter die Stammgäste mischen sich Antillianer, Marokkaner und indonesische Surinamer. „Mit dem Asian Underground aus London hat das hier aber nichts zu tun. Wir haben kein politisches Anliegen: uns geht es nur ums Tanzen und Feiern.“