„Ich habe einen christlichen Schuldkomplex“

Klopfen aus dem Busch der Geister: Der einstige Talking-Heads-Kopf und Weltmusik-Missionar David Byrne über seine Entdeckung des globalen Hörens, über Alter und Exotismus, fiktive Ethnographie und das westliche Verlangen nach Authentizität sowie die Aufgaben seiner Plattenfirma „Luaka Bop“

Interview DANIEL BAX

taz: Herr Byrne, vor einem Jahr haben Sie in einem viel beachteten Artikel in der New York Times geschrieben, Sie würden Weltmusik hassen. Ist das so?

David Byrne: Das war natürlich als Provokation gedacht – schließlich kennt man mich in New York als „Mister World Music“. Was mich an dem Begriff aber stört, ist, dass er die Vorstellung impliziert, dies sei eine besonders exotische Sorte von Musik – ein fremdes Gewürz, das man konsumiert, so wie man einmal in der Woche zum Thailänder essen geht.

Es ist ein Marketing-Begriff, der sicher seine Berechtigung hatte, um bestimmte Musikstile überhaupt erst im Westen einzuführen. Aber ab einem bestimmten Punkt kann er sich für die Künstler auch als Hemmschuh erweisen, weil er Leute davon abhält, sich ernsthaft mit ihnen und ihrer Musik zu beschäftigen.

Im Westen wird an Weltmusik häufig die Erwartung geknüpft, sie müsse möglichst authentisch und wahrhaftig sein . . .

Ja, das ist ein Grund, warum sie bei uns so populär ist. Aber das gilt nicht nur für Weltmusik. Aus dem gleichen Grund hören weiße Jugendliche in den Suburbs Rap aus dem Ghetto: weil sie denken, dass das authentischer ist als Musik, die ihr eigenes Leben reflektiert. Kanonen, Gewalt halten sie für reeller.

Wir im Westen möchten uns gerne wünschen, dass es da draußen noch etwas gibt, das echt oder authentisch ist. Ich bin selbst nicht frei von solchen Projektionen. Aber es ist nur Musik.

Wann haben Sie entdeckt, dass es da draußen noch andere Musik gibt als die, von der man in den USA meist umgeben ist?

Das war schon früh, schon in den Siebzigern. Ausgefallene Musik hat mich schon immer fasziniert, Frank Zappa und andere. Und viele Musiker, die ich verehrte, nannten nichtwestliche Quellen als großen Einfluss: indische Musik, afrikanische Musik. Ich habe mir daraufhin stapelweise Platten aus der Bücherei ausgeliehen, um sie zu Hause zu erforschen.

Wie hat sich dieses Interesse auf Ihre Arbeit mit den Talking Heads ausgewirkt?

Damals noch kaum. Es gab natürlich Songs, die von bestimmten Hörerfahrungen inspiriert waren: So wie „I Zimbra“, das einem südafrikanischem Pop-Stück nachempfunden war. Und wir hatten mal die Idee, eine Platte zu machen, die klingen sollte wie die Feldaufnahme eines fiktionalen Stammes. Das Album sollte nicht unter dem Namen der Talking Heads erscheinen, sondern wie eine ethnographische Edition: Auf dem Cover sollte die Kultur dieses Stammes erklärt werden, mit all seinen Riten, seinen Sitten, seiner Küche, seiner sozialen Umgebung. Daraus ist leider nie etwas geworden.

Etwas Ähnliches haben Sie dann 1981 mit Brian Eno gemacht. Ihr Album „My Life in the Bush of Ghosts“, eine ethnisch infizierte Klangcollage, nahm das Pastiche-Prinzip der Welmusik vorweg.

Das war sicher ein Aspekt. Aber was damals bei der Kritik am meisten für Verunsicherung sorgte, war, dass der Autor nicht identisch war mit den Stimmen auf dem Album: Das hat die Leute viel mehr irritiert als die Tatsache, dass da arabischer Gesang oder indische Instrumente zu hören waren. Heute ist das gang und gäbe. Dass auf einem Album von Kruder & Dorfmeister keiner der beiden singt, wundert niemanden mehr. Aber damals war dieses Sample-Konzept noch ungewöhnlich. „My Life in the Bush of Ghosts“ war das erste elektronische Remix-Album.

Warum haben Sie diesen Weg nicht weiterverfolgt?

Heute machen das doch alle – und sie tun das ziemlich gut. Warum sollte ich da versuchen mitzuhalten?

Wie Ihr Kollege Peter Gabriel haben Sie aus der Beschäftigung mit nichtwestlichen Traditionen Impulse für ihre Solo-Karriere bezogen – eine Plattenfirma als Plattform für Musiker aus der Dritten Welt gegründet. Leiden Sie an einem christlichen Schuldkomplex?

Ja (lacht), das könnte eine Rolle gespielt haben. Aber andererseits habe ich mich einfach für die Musik aus Brasilien und Lateinamerika begeistert und wollte sie einer breiteren Öffentlichkeit bekannt machen. Die Jugendlichen dort wachsen mit Folklore oder Salsa auf, mit House und HipHop, und sie mischen all diese Stile – es ist Ausdruck ihrer Lebensrealität.

Mit Ihrer Begeisterung für Weltmusik stehen Sie nicht allein. Auch Paul Simon und Ry Cooder haben eine Schwäche für die Ferne. Liegt das am Alter?

Das habe ich auch schon befürchtet. Aber Musiker wie Beck, Cibo Matto oder Sean Lennon begeistern sich ja auch für brasilianische Tropicalia-Ikonen wie Caetano Veloso und machen ähnlichen Gebrauch von diversen Einflüssen.

Sie wohnen in New York. Befördert die Vielfalt der Stadt Ihren musikalischen Eklektizismus?

Ich denke schon, dass Orte prägend wirken. Nehmen wir norwegischen Heavy Metal: Es gefällt mir natürlich zu denken, dass das etwas mit dem alten Wikinger-Mythos zu tun hat. Aber vielleicht ist das doch ein bisschen zu simpel. Ich wohne gerne in New York, weil ich abends einen Club besuchen und anschließend mit meinem Fahrrad nach Hause fahren kann.

Aber wenn Sie auf Hawaii lebten, würden Sie wahrscheinlich andere Musik machen, oder?

Ja, das befürchte ich zumindest (lacht). Darum bin ich da auch nie hingezogen.