Die Schweiz muckt auf

Der FC St. Gallen gewinnt 1:0 beim SC Freiburg und schreibt damit Fußballgeschichte

FREIBURG taz ■ Das helvetische Selbstverständnis ist dieser Tage angekratzt. Ausgerechnet ihre Swissair, als international renommierte Fluglinie neben Toblerone und Schweizer Alpen in einem Atemzug unter Nationalstolz einzuordnen, wurde zur Notlandung vor dem Insolvenzrichter gezwungen. Und dadurch erlitt ausgerechnet ein Attribut wie Schweizer Solidität einen gewaltigen Knacks. Deshalb ist noch besser zu verstehen, warum die Schweiz einen großen Fußballabend im Europapokal mit überschwenglichen Schlagzeilen begleitete. Die Grasshoppers Zürich fertigten den FC Twente Enschede mit 4:1 ab, Servette Genf trotzte Real Saragossa ein 0:0 ab – und der FC St. Gallen gewann beim SC Freiburg 1:0. Womit die „kühnsten Erwartungen“ übertroffen wurden, wie der Zürcher Tagesanzeiger jubelte und den ersten Auswärtssieg eines Schweizer Klubs bei einem Bundesligaverein überhaupt als Sensation wertete: „Der FC St. Gallen hat Schweizer Fußballgeschichte geschrieben.“

Während also beim Nachbarn Beurteilungen euphorisch durcheinander purzelten, findet sich der SC Freiburg mitten im Goldenen Oktober in einer Phase der Depression wieder. In der Bundesliga ist die Ausbeute (zwei Siege aus neun Spielen) mehr als unbefriedigend, und die Chancen auf das Erreichen der dritten Uefa-Cup-Runde sind in allerletzter Sekunde stark zurechtgestutzt worden. Zum Charakter des Spiels passte es, dass ausgerechnet dem beschäftigungsärmsten Mann auf dem Platz eine schwer wiegende Fehleinschätzung unterlief: Eine letzte Flanke von Reto Zanni segelte vor Richard Golz, der SC-Keeper machte drei Schritte nach vorne und zwei zurück – und diesen Klassiker eines Torwartfehlers münzte der Südafrikaner Mokoena in der 94. Minute in das Tor des Abends um.

Marcel Koller, ein Mann von 41 Jahren, räumte ein, dass dieser Treffer glücklich war. Der Trainer, der im Sommer 2000 dem FC St. Gallen nach 96 Jahren die Schweizer Meisterschaft beschert hatte, durfte sich aber auch ein bisschen auf die Schulter klopfen, seiner Mannschaft ein taktisch maßgeschneidertes Konzept verpasst zu haben: „Wir wussten, dass wir Freiburgs Pässe in die Tiefe unterbinden müssen – dafür hat es einen fünften Mittelfeldspieler gebraucht.“

Höchst bemerkenswert gelang es dem FC St. Gallen, die Räume für den Freiburger Kombinationsfußball zu verschließen. Ein starkes, fast fehlerfreies Zweikampfverhalten kam dazu und eine hohe mannschaftliche Geschlossenheit. Dass der FC St. Gallen „aus strategischen Gründen wenig Konstruktives im Sinn“ hatte, wie die Neue Zürcher Zeitung spitz bemerkte, tut der respektablen Maurerarbeit der Ostschweizer keinen Abbruch: Auch ein streng defensives Bollwerk muss erst einmal halten – und mit dieser Masche der Fußball-Verhinderung ist ja mancher Gegner im Dreisamstadion auch schon böse eingegangen.

Derzeit allerdings ist diese Gefahr beschränkt, weil beim Sport-Club zu viele Spieler nach einer vernünftigen Form suchen. Tief blicken lässt, wenn Trainer Volker Finke sagt, seine Mannschaft habe sich „bemüht“; und noch entlarvender ist es, wenn die beste der wenigen Freiburger Torchancen ein Kopfball (!) des kleinen Alexander Iashvili an den Pfosten war (77. Minute). Doch wenn in Freiburg der Fußball nicht funktioniert, dann fliegen nicht die Fetzen. Seinen Spielern den Kopf zu waschen hält Finke für den falschen Weg: „Ich werde doch nichts tun, was das Selbstvertrauen der Mannschaft noch mehr in den Keller bringt.“ CHRISTOPH KIESLICH