„Schade. Ein Irrer weniger.“

Nur die Wirtin des „Löwenstüberls“ trauert: Die Entlassung von Trainer Werner Lorant wird bei 1860 München eigenartig emotionslos zur Kenntnis genommen. Allenfalls der Zeitpunkt überraschte

aus München THOMAS BECKER

So viel Zeit muss sein. Ein Autogramm ist schnell geschrieben, auch wenn für den massigen Mann mit den derben Pranken der Text recht lange ist: „Karl-Heinz Wildmoser“. Das geht nicht so leicht von der Hand. Wildmoser nimmt sich die Zeit, kritzelt dem jungen Fan seine Buchstaben aufs Papier, grinst in die blendende Sonne und macht sich auf den Weg zur schwierigsten Pressekonferenz seines Lebens. Minuten später wird er das Überraschende sagen: „Wir haben uns von Werner Lorant getrennt.“

Ein kleiner Satz für die Menschheit, ein Quantensprung für den TSV 1860 München. Nach 3.394 Tagen heißt der Trainer nicht mehr Lorant, sondern Pacult, Vorname Peter, geboren in Wien-Floridsdorf, 16 Bundesligaspiele, drei Tore, Lorant-Assistent seit drei Jahren. Vorm Fernseher, Champions League schauend, hatte ihn kurz vor Mitternacht die Kurzschlussreaktion des Präsidenten erwischt; mit dem aus Eindhoven eingeflogenen Ex-Löwen und künftigen Co-Trainer Gerald Vanenburg wurde in einer Kneipe im Münchner Westend kurz vor Zapfenstreich mal eben ein Konzept zur Rettung des maladen Klubs zusammengeschustert.

Dann hieß es für Wildmoser auch schon wieder früh aufstehen: Lorant ist ja immer der Erste auf dem Trainingsgelände. Diesmal war es der Präsident. Um kurz nach neun fing Wildmoser seinen Spezi Werner ab, drei Minuten später stieg Lorant wieder ins Auto, nicht ohne sich von Christel Estermann verabschiedet zu haben. Sie ist die Wirtin des „Löwenstüberls“, der Vereinsgaststätte. Neun Jahre lang hatte er dort fast jeden Tag seine Sicht der Fußballdinge verbreitet. Vorbei.

Nie mehr mit Werner L. am Kaffeetisch. Nie mehr zusammenzucken nach dem schon chronischen Zischen „Intressssiert mich nich“. Keine neuen Folgen der Kultserie „Wichtig ist . . .“, die in der Süddeutschen Zeitung tatsächlich regelmäßig auftauchte. Nie mehr TV-Analyse mit Werner L. am Pils-Tisch im Presseraum des Olympiastadions. Nie mehr Ausraster an der Seitenlinie. Nie mehr fliegende Alukoffer in der Coachingzone. Nie mehr Werner Lorant. Viele sagen: „Endlich!“ Es soll Zeitungsredaktionen geben, in denen Sekt geflossen ist. Anderswo heißt es: „Schade, ein Irrer weniger.“

Von der Mannschaft verabschiedete sich Lorant nicht. „Die musste trainieren“, sagte er in Bild, „von den Spielern werde ich mich demnächst einzeln verabschieden, aber nicht von allen.“ Viele waren eh nicht da: Mit elf Akteuren stand das neue Trainerteam auf dem Platz, darunter zwei Torhüter; vierzehn Spieler fehlten verletzt. Die Trainingsmethoden des ehemaligen Wadlbeißers waren immer wieder Kritikpunkte am Sonderling Lorant gewesen.

Den Ausschlag für die Entlassung habe aber das Derby gegeben, so Wildmoser: nicht die Tatsache, dass Blau 1:5 gegen Rot verlor, sondern die emotionslose Art, wie dies geschah. „Das ist ein Fußball, wie ich ihn nicht kenne“, hatte Lorant gesagt. Und: „Ich rede mit der Mannschaft nicht mehr, weil sie mir nicht zuhört.“ Dass das schon lange so ist, dass die Autorität von „Werner Beinhart“ sich allmählich gegen null bewegte, das wissen auch die Einmal-Löwe-immer-Löwe-Fans im „Löwenstüberl“. Das sei schon gut so, dass er jetzt geht, sagt einer. Christel Estermann, die Wirtin, meint: „Aber es tut schon weh.“

Die Trennung von Lorant kommt zwar zu diesem Zeitpunkt – drei Tage vor dem wichtigen Bürgerentscheid über das neue Stadion – überraschend, war aber so überfällig und absehbar wie einst die viel zu späte Demission des Nationallaberers Erich Ribbeck. Den richtigen Zeitpunkt zur Trennung hatte Wildmoser in der vergangenen Saison verpasst, als Lorant sich mit Frankfurt einig war, der Präsident ihn aber zum Bleiben verdonnerte.

Die Trauer über den Abgang des Sprücheklopfers hält sich in Grenzen (Spieler Pürk: „Ich habe damit gerechnet“); auch bei Giovane Elber: „Für mich wäre es schlimmer, wenn Hitzfeld entlassen worden wäre.“ Der ist allerdings der Letzte, den man mit Lorant vergleichen sollte.