Die Boygroup von der Dienststelle

Wo kommen bloß die vielen Polizisten im Fernsehen her? Von der Wache: Viele Beamte verdienen sich ein Zubrot als uniformierte Komparsen. Doch auch mancher Möchtegern-Gesetzteshüter darf zumindest im Film ein echter „Bulle“ sein

von THOMAS VOBURKA

Nach acht Stunden Warten ist es soweit. Matze drückt das Gaspedal des Streifenwagens bis zum Anschlag durch. Mit quietschenden Reifen, Blaulicht und Martinshorn, schlittert der Ford-Mondeo knapp hinter dem rostigen Ascona auf das Gelände des Autokinos in Köln-Porz. Von gegenüber nähert sich rasch ein dunkelblauer Benz, stellt sich gekonnt quer und blockiert die Straße, weshalb der Fahrer des Asconas hart abbremsen muss. Jetzt stürmt Peter, Matzes Beifahrer, aus dem Streifenwagen, zieht blitzschnell die Dienstpistole und rennt rüber zum Ascona. Zu spät: Hauptdarsteller Uwe Fellensiek, der bei „SK-Kölsch“ den Kommissar Schatz mimt, hat den Geiselnehmer bereits gestellt.

“Die Warterei ist das einzig Realistische beim Film“, kritisiert Matze und streicht sich durchs blondgefärbte, sorgsam gegelte Haar. „Eine richtige Festnahme schaut anders aus.“ Matze, der eigentlich Martin heißt, hat Abi, ’nen Waschbrettbauch, und überhaupt sieht er aus, wie einer von „Take That“. Aber Matzes Boygroup ist die Autobahnpolizei. Der 26-jährige Hauptkommissar (Besoldungsstufe A9) feiert beim Film seine Überstunden ab. “Das tun viele von uns. Es fördert das Image und außerdem bringt es Geld.“

Peter ist aus anderen Gründen hier. Der 41-Jährige, der im wahren Leben seine Rolle noch nicht gefunden hat, ist scharf auf die Jeans. Die braune Kammgarnhose und das mostrichfarbene Hemd hat er schon vor Jahren bei der „Wache“ geklaut, die Lederjacke beim „Clown“. Koppel und Holster hat RTL bei „Cobra 11“ spendiert, und woher er die Stiefel hat („die guten von Haix“), weiß er nicht mehr. Aber da der moderne Bulle mittlerweile Nietenhosen trägt, ist Peter modemäßig betrachtet „out“. Künstlerpech: Weil er ein wenig zur Fülle neigt, hat das Kostüm die passende Größe nicht parat.

„Macht nichts. Versuch’ ich’s halt morgen beim „Tatort“ – Peter ist als Komparse gefragt. Am Anfang der Karriere hat er alles mögliche gespielt, „sogar mal ’nen Arzt. Aber jetzt mach’ ich seit Jahren nur noch Polizei.“ Peter, der aus wirtschaftlichen Erwägungen noch bei den Eltern wohnt („ist billiger“), sieht’s pragmatisch: „Ich hab’ halt ein typisches Beamtengesicht!“

Würde man 100 zufällig ausgewählten Bundesbürgern die Frage stellen: „Wer von den Beiden ist Polizist?“, für annähernd 99 wäre die Antwort klar: Peter – nicht Hauptkommisar „Matze“.

Tückische Kombination

Dass dem nicht so ist, liegt möglicherweise am Fehltritt. Oder an der Sprossenwand. Vermutlich aber an jener tückischen Kombination: Elfte Klasse – Turnunterricht – Schädelbasisbruch – Koma. Danach hat Peter, der vorher immer unter den Besten war, eher mühsam die mittlere Reife geschafft. Weil er sich seit dem verhängnisvollen Sturz nur noch schwer konzentrieren kann, hat er es auch als Versicherungskaufmann schwer. Vor 13 Jahren das Aus: arbeitslos. Matze dagegen wollte als Kind Tierarzt werden, vielleicht wegen „Daktari“, oder weil Matze gern Schwächeren hilft. Seit den ersten Castor-Transporten und Gorleben aber („hab ich im Fernsehen gesehen!“), stand fest: „Ich werd` Polizist.“ Warum?: „Ich mag` halt die Underdogs!“ Außerdem steht Matze, der zwischen Bochum und Gelsenkirchen aufgewachsen ist, auf den Vfl: Graue Maus – aber unabsteigbar. Die Eltern, beide Lehrer, hatten für den einzigen Sohn einen anderen Karriereplan. Doch Matze hat sich durchgesetzt. Hat’s sich gelohnt? Matze nickt.

Fühlt sich Peter von der Gesellschaft ungerecht behandelt, was zum Beispiel nach Ziehung der Lottozahlen vorkommen kann, schlüpft er auch an drehfreien Tagen in die zeitlos-fesche Polizeiuniform, schiebt die Gaspistole („astreiner Sig-Sauer- Nachbau“) ins Holster, knallt das Blaulicht („gibt’s für `nen Zwanni an der Tanke“) auf’s Dach seines alten Passat, und wer sich dann nicht an die Verkehrsregeln hält, dem „Gnade Gott!“

Fragt man Peter, wie er das meint, sagt er: „Gott ist gnadenlos!“, lächelt eine Spur zu selbstbewusst und schweigt. Matze gegenüber erwähnt Peter diese gelegentlichen Streifenfahrten nicht, was möglicherweise besser ist. Denn auch wenn Matze gerne Bob Marley hört, so manches sieht er mit den Augen der Polizei.

Überhaupt verbringen die Beiden einen eher schweigsamen Tag. War man sich anfangs noch darüber einig, dass „Schnellverschlüsse“ aus Kunststoff den normalen Handschellen vorzuziehen sind („kannst du enger stellen“), ging ihnen dann bald der Gesprächsstoff aus. Seit Stunden ist nun das Klackern der Handytastatur das bestimmende Geräusch. Matzes Freundin ist Krankenschwester, und weil ihr Dienstplan mit dem von Matze nur selten harmoniert, führen sie eine SMS-Beziehung. Matze verschickt bis zu 100 Textnachrichten am Tag. Dem steht Peter nichts nach. Doch seine Nachrichten sind gewerblicher Natur: „Ich bau’ mir da gerade was auf!“

Groß im Bild

Doch noch ist es nicht soweit, und er bleibt angewiesen auf die 100 Mark Komparsenlohn. Da trifft es sich gut, dass Herrn Schneider, dem Regisseur, Peters zupackende Art gut gefällt und er die Szene deshalb noch ein wenig variiert: Nachdem Kommissar Schatz den Verbrecher festgenommen hat, übergibt er ihn Peter zum Abtransport. So kommt auch der mal groß ins Bild.– für volle zwei Sekunden.