Die Nato als nützlicher Idiot

CONTRA: Der Militäreinsatz wird Ussama Bin Laden neue Anhänger zutreiben

Die Verhaftung von Ulrike Meinhof und Andreas Baader bedeutete nicht das Ende der RAF - Nachfolger waren schnell gefunden. Schließlich gab es genug Sympathisanten. Die Terrorbewegung ist nicht in erster Linie von Polizei und Justiz besiegt worden. Sie hat sich selbst zerstört. Die Entführung einer Urlaubermaschine wurde auch vom größten Teil jener radikalen Linken verurteilt, die zwar nicht selbst gewaltbereit waren, vorangegangene Anschläge und Morde an Repräsentanten des Systems aber durchaus wohlwollend verfolgt hatten. Die Kaperung der „Landshut“ bewirkte, was dem Verfassungsschutz niemals gelungen war: Die RAF verlor ihr sympathisierendes Umfeld. Ohne ein solches Umfeld kann auf Dauer keine Terrororganisation bestehen. Es war vorbei.

Ein paar kurze Tage sah es so aus, als könne der vernichtende Anschlag auf das World Trade Center eine ähnliche Wirkung entfalten. Es ist wahr, dass selbst dieses Verbrechen bei einigen wenigen US-Gegnern Genugtuung ausgelöst hat. Und natürlich hatten manche Regierungen von Teheran bis Moskau nicht nur Mitgefühl mit den Opfern, sondern hatten durchaus auch eigene Interessen im Auge, als sie die Untat verurteilten. Dennoch aber war sich die überwältigende Mehrheit der Menschen in aller Welt so einig wie kaum je zuvor. Kein politisches Ziel rechtfertigt den Tod von mehreren tausend Unbeteiligten: Es schien, als könne sich die internationale Staatengemeinschaft, die sich mit der Definition von Terrorismus so schwer tut, wenigstens auf diesen kleinsten gemeinsamen Nenner verständigen. Das wäre ein wirklicher zivilisatorischer Fortschritt gewesen.

Die Chance ist vertan. Jeder unschuldige Getötete in Afghanistan relativiert das Grauen von Manhatten bei jenen, die sich ohnehin nur schwer daran gewöhnen konnten, in den USA einmal nicht den Aggressor, sondern das Opfer zu sehen. Spätestens seit dem Einsatz von Streubomben ist deren Weltbild wieder in Ordnung. Das kann man falsch finden, ebenso wie man es falsch finden konnte, den Mord an Siegfried Buback für weniger unmoralisch zu halten als die Ermordung des Lufthansa-Piloten Jürgen Schumann. Aber das sympathisierende Umfeld von Terroristen orientiert sich nicht an den Moralvorstellungen derjenigen, die sie für die Mächtigen halten.

Hier wird nicht dafür plädiert, gegen Terroristen gar nichts zu unternehmen und gelassen abzuwarten, bis sich eine Organisation sogar bei ihren Anhängern selbst diskreditiert hat. Es war richtig, Ulrike Meinhof zu verhaften, und es wäre schön, wenn Ussama Bin Laden verhaftet werden könnte. Wenn diese Möglichkeit aber nicht besteht: Wie weit sollte man dann gehen? Gerade der abendländische Kulturkreis darf die Grenzen des Humanismus nicht überschreiten, der besagt, dass kein Opfer mehr wert ist als ein anderes. Das ist nicht nur und vielleicht nicht einmal in erster Linie eine Frage der Moral. Es liegt vielmehr in unserem eigenen Interesse.

Was wäre aus der RAF geworden, wenn der Staat der Versuchung nachgegeben hätte, rechtsstaatliche Prinzipien außer Kraft zu setzen? Wenn er beispielsweise dem inzwischen bekannt gewordenen Vorschlag gefolgt wäre, inhaftierte Terroristen zu erschießen? Dann wäre das sympathisierende Umfeld der RAF vermutlich nicht einmal durch zehn entführte Urlaubermaschinen in seiner Position schwankend geworden. Demonstrationen in vielen Teilen der Welt lassen befürchten, dass der Hydra des Terrors gerade neue Köpfe wachsen.

Das ist eine schreckliche Vorstellung. Der Anschlag auf das World Trade Center hat uns auf grausame Weise den Grad der Verwundbarkeit unseres hochkomplexen Systems durch archaische Methoden vor Augen geführt. Der einzige Weg, Nachahmer zu entmutigen, besteht darin, die Zahl der Sympathisanten so gering wie möglich zu halten. Bomben erreichen das Gegenteil. Wenn das Ziel der Terroristen im Kampf der Kulturen besteht, dann spielt die Nato gerade die Rolle des nützlichen Idioten. BETTINA GAUS

siehe auch Leserbriefe SEITE 12 Fotohinweis: Bettina Gaus ist politische Korres-pondentin der taz, deren Parlamentsbüro sie bis 1999 leitete.